GET CARTER

Rambo mit Kinnbart

Sly Stallone versucht's mit Mimik

In Mike Hodges britisch-kühler Gangsterballade Get Carter spielte Michael Caine 1971 einen Londoner Ganoven, der in seinen Heimatort Newcastle zurückkehrt, um den Tod seines Bruders zu rächen. Caine verlieh diesem Racheengel eine kaltherzige Eleganz, die dessen Gewaltausbrüche um so furchterregender erscheinen ließ.
Nachwuchsregisseur Stephen Kay glaubt sich nun an einem Remake des Noir-Klassikers versuchen zu müssen und macht gleich drei Fehler auf einmal. Zum einen ersetzt er den feingliedrigen britischen Schauspieler durch den massiven Grobklotz Sylvester Stallone. Dann lässt er Michael Caine in einer Nebenrolle auftreten und bringt damit das enorme schauspielerische Gefälle zwischen Original und Fälschung erst richtig zur Geltung. Schließlich - und das ist sein schwerster Fehler - brutalisiert und moralisiert er eine Geschichte auf Hollywood-Standard, deren Qualität genau darin bestand, das klassische Rachemotiv im moralfreien Raum präzise zu sezieren.
Mit Get Carter versucht Sylvester Stallone erneut ins ernste Schauspielerfach zu wechseln und hat sich fürs neue Image sogar einen Kinnbart wachsen lassen. Mit strahlend weißem Hemd und glänzenden Seidensakko stapft dieser Carter als aufgeblasene Lichtgestalt durch den Sumpf des Verbrechens im dauerverregneten Seattle. Sein Bruder soll sich im Suff zu Tode gefahren haben, aber Carter glaubt nicht an die Unfallthese. Der gelernte Schuldeneintreiber überzeugt durch markige Sprüche und ermittelt mit alleszerschmetternden Faustschlägen. Er kommt einem finsteren Pornoringbetreiber (Mickey Rourke) und einem exzentrischen Internet-Millionär (Alan Cumming) auf die Spur und muss feststellen, dass auch sein Bruder an schmutzigsten Geschäften beteiligt war. Carters geradliniges Rachebegehren verfängt sich in einem Netz aus Schuldzuweisungen.
Stephen Kay verpackt die brutalen Exzesse in hyperstilisierte Bildkompositionen: ausgebleichte Farben, digital beschleunigte Bildfolgen, kontrastierende Lichtführung. Im Designer-Eifer wurde so manche Szene auch schon einmal bis zur Unkenntlichkeit verdunkelt. Das alles sieht hochmodern und hip gestylt aus und kann doch den reaktionären Beigeschmack der Geschichte nur notdürftig überdecken. Leider verspielt der Film die Chance, produktiv mit Stallones Rambo Rächer-Image umzugehen. Vielleicht hat Regisseur Kay geahnt, dass sein Hauptdarsteller für die mimische Umsetzung innerer Widersprüche wenig prädestiniert ist. Nach kurzer moralischer Krise findet der Held wieder zur gewohnten Form zurück, lässt ein paar Schurken gnädig überleben und bei den Schlimmsten tödliche Gerechtigkeit walten. Dann wird der Bart abrasiert und Stallone ist wieder ganz der Alte.

Martin Schwickert

USA 2000 R:Stephen Kay B:David McKenna K: Mauro Fiore D: Silvester Stallone, Miranda Richardson, Rachel Leigh Cook