CHLOE

Wechselnde Gefühle

Im Erotik-Drama »Chloe« von Atom Egoyan steht Julianne Moore als zweifelnde Ehefrau im Zentrum

Eigentlich hat sich Atom Egoyan dem hohen Kunstkino verschrieben. Mit Filmen wie Der Schätzer, Exotica, Das süße Jenseits schuf der kanadische Filmemacher in den Neunzigern frühe Kinomeisterwerke, die immer noch einen festen Platz in der Filmgeschichte beanspruchen können. Kunstvoll verschlungene Geschichten, die sich immer wieder selbst bespiegeln, übereinandergelegte Bedeutungsebenen, Subtext-Teppiche und Täuschungsmanöver sowie eine kristallklare Bildsprache zeichnen seine Werke aus.

Ab und zu flirtet Egoyan auch mit dem Mainstream. In Wahre Lügen etwa entwarf er eine geradlinige, sauber konstruierte Kriminalgeschichte, die jedoch in den USA aufgrund einer bisexuellen Beischlafszene ins Visier der Filmzensur geriet. Mit seinem neuen Film Chloe bewegt sich Egoyan, der hier zum ersten Mal nicht ein eigenes Drehbuch verfilmt hat, erneut aus der Kunstkinoecke heraus.

Im Zentrum der Geschichte steht die Gynäkologin Catherine (Julianne Moore), deren Ehe zu dem Musikprofessor David (Liam Neeson) in der familiären Routine zu versanden droht. Als sie zu seinem Geburtstag eine Überraschungsparty organisiert, behauptet David, das Flugzeug verpasst zu haben und kommt erst spät in der Nacht nach Hause. Am anderen Morgen entdeckt Catherine eine SMS auf dem Handy des Ehemannes und ein Foto, das ihn mit einer jungen Studentin zeigt.

Eifersucht ist ein schnell aufkeimendes Gefühl und wenn der Verdacht einmal gesät ist, finden sich viele Anzeichen, die ihn bestätigen: die Kellnerin, die David ein wenig zu freundlich behandelt, eine Konferenz bis in den späten Abend hinein oder die Chatroom-Korrespondenz, die eilig weggeklickt wird, als die Ehefrau das Arbeitszimmer betritt. Catherine will es genau wissen und engagiert die junge Edel-Prostituierte Chloe (Amanda Seyfried), die sich an David heranmachen und der eifersüchtigen Auftraggeberin Bericht erstatten soll.

Der Treuetest wird für Catherine zum masochistischen Experiment, denn Chloe kann schon bald detailliert von ihren Verführungserfolgen berichten. Aber auch zwischen den beiden Frauen baut sich allmählich eine erotische Spannung auf, die Catherine gänzlich in die emotionale Verwirrung treibt. Chloe ist ein Remake des französischen Films Nathalie von Anne Fontaine, der vor sechs Jahren auch in den deutschen Kinos lief. Anders als das Original legt Egoyan seinen Schwerpunkt jedoch nicht auf die laszive Spannkraft der Geschichte, sondern verschreibt sich voll und ganz der Perspektive der Mittvierzigerin, die sich in eine existenzielle Verunsicherung hineintreiben lässt.

Julianne Moore ist brillant in der Rolle der zweifelnden und zunehmend verzweifelten Ehefrau. Immer wieder rückt Egoyan ihr Gesicht, das mit feinen Nuancen emotionale Abgründe spiegelt, in die Großaufnahme. Der Film ist durchzogen vom winterklaren Licht im frostkalten Toronto, dessen gläserne Architektur eine Transparenz suggeriert, die die Undurchsichtigkeit der amourösen Verwicklungen wirkungsvoll kontrastiert.

Allerdings steht der optischen Brillanz der Bilder auch ein dramatisch überladenes Finale gegenüber, das die fein gewebte Geschichte in einer allzu plakativen Schlusswendung ertränkt. Hier hätte man von einem Filmemacher wie Egoyan mehr Mut zu einem offeneren Ende erwarten können.

Martin Schwickert

USA/Kanada/Frankreich 2009 R: Atom Egoyan B: Erin Cressida Wilson K: Paul Sarossy D: Julianne Moore, Liam Neeson, Amanda Seyfried