POWER AND TERROR


Talking Head

Noam Chomsky redet über die neue Weltordnung

Dieser Dokumentarfilm hat genau 3 Ideen, und die beste ist, Noam Chomsky einfach reden zu lassen. Seit den 60ern gehört der Sprachwissenschaftler zu Amerikas führenden "linken" Intellektuellen, auch wenn er in den Medien meist wenig Resonanz findet. Nach dem 11. September 2001 wurde sein Buch "911" aber plötzlich zum Bestseller, und seitdem tourt der 74jährige ununterbrochen als Redner durch die Welt, viel bejubelt vom oft jungen Publikum, dem die ruhige, bestimmte Art gefällt, mit der Chomsky "abweichende Ansichten" vorträgt. Und gern mal den Zuhörern die Wahl lässt, seine Gedanken zu hören oder die eigenen mit ihm zu diskutieren.
Deswegen hatte er leider keine Zeit, um dem in Japan arbeitenden Dokumentaristen John Junkerman mehrere ausführliche Interviews zu geben. So bastelte der aus einem improvisierten Gespräch und mehreren Vortrags-Mitschnitten etwas zusammen, das eher ein Wühltisch als ein Feature ist. Seltsame japanische Folk-Rock-Songs und Schwarzblenden simulieren eine ästhetische Organisation des Materials, und nur ein Trick funktioniert: Chomsky macht vor jedem Auftritt persönlich einen Sound-Check, damit auch jeder ihn verstehe. So einen setzt Junkerman ans Ende seines "Films", nach den Nachspannn. Ja, das wirkt.
Aber Chomsky selbst wirkt besser: ganz unaufgeregt erklärt er jede organisierte Gewalt gegen Zivilisten zum Terror (auch die der amerikanischen Truppen), zählt Dutzende Beispiele westlicher Regierungs-Verbrechen auf, fordert freundlich, Aussenpolitik habe sich an die Kriterien zu halten, die sie anderen Staaten vorschreibt, und erklärt den dummen Bushismus der "Achse des Bösen": zwei Staaten der Achse haben seit Jahrzehnten Krieg miteinander und der dritte ist am Boden zerstört. Deutsche merken unter allen Ausführungen über Moral und Politik eventuell besonders auf, wenn Chomsky die Logik hinter den Nürnberger Prozessen darlegt: als Kriegsverbrechen galten nur solche Gräuel, die die Alliierten nicht angerichtet hatten. Geiseln erschießen war demnach Mord, Staudämme sprengen nicht. Chomsky sieht das strenger.
An dieser wie an vielen anderen Stellen möchte man möglicherweise mitdiskutieren, aber der Film belässt es bei der simplen Beobachtung. Chomskys Kritiker von links und rechts kommen nicht vor. Chomskys Biografie fehlt, und Chomskys Wissenschaft wird nur als Witz von ihm selbst erzählt: was hat Ihre Linguistik mit Ihrer Politik zu tun? Nichts.
Als Unterrichtsmaterial ist das durchaus empfehlenswert, als "Stand Alone"-Film ist das zu wenig. Da hilft auch der Nachklapp nichts. Nachdem Power and Terror schon 1 Jahr im Einsatz war und die USA in den Irak einmarschierten, sprach Junkerman nochmal mit Chomsky. Das Interview klebt hinten dran - und handelt fast gar nicht vom Irak.
Wer Noam Chomsky noch nie gesehen hat, mag ins Kino gehen. Alle anderen lesen besser sein Tagebuch unter blog.zmag.org/ttt. Denn Chomsky ist ein kluger Mann und hat einen besseren Film verdient.

WING
Japan 2002/3. R&B: John Junkerman, D: Noam Chomsky