CODE 46

Kalte Zukunft
Micheal Winterbottoms erster SF-Film

Western, Kostümfilm, Emigranten-Roadmovie, Politthriller, romantische Komödie, Großstadtporträt, Serienkillerfilm - es gibt kaum ein Genre, an dem sich Michael Winterbottom noch nicht versucht hat. Gerade war sein expliziter Liebes- und Sexfilm 9 Songs zu sehen, da kommt Code 46, Winterbottoms Ausflug ins Science-Fiction-Genre, mit zweijähriger Verspätung in die deutschen Kinos.
Auch dieses Genre bürstet der britische Filmemacher gewinnbringend gegen den Strich. Ihm geht es nicht um die Erschaffung künstlicher Hi-Tech-Welten, sondern um eine Zukunft, die ganz nah an unsere Gegenwart herangebaut ist. Klimakatastrophe und radikale Globalisierung haben die Menschheit in zwei Lager unterteilt. Die einen leben in abgeriegelten Städten, die anderen in Wüstenlandschaften, die durch die globale Erwärmung entstanden sind. Der Zugang zu den Städten wird durch ein Visa-Unternehmen geregelt, das sogenannte Papelles ausstellt, die ein begehrtes Schwarzhandelsprodukt sind.
Der Versicherungsagent William Geld (Tim Robbins) wird nach Shanghai beordert, um Diebstähle in einer Visa-Chip-Fabrik aufzuklären. "Sagen Sie mir irgendetwas über sich", fordert er die Dame an der Rezeption auf. Eine Information reicht aus, und William kann sich, dank eines Virus, in die Gedankenwelt einer Person einloggen. Dass Maria Gonzales (Samantha Morton) die Schuldige ist, hat er schnell herausgefunden. Dass er sich verliebt und ihre Ausweisung verhindert, bringt den smarten Ermittler in Schwierigkeiten.
Winterbottoms Code 46 ist der mit Abstand intelligenteste, filmische Kommentar zum Thema Globalisierung, der bisher im Kino zu sehen war. Ohne in düstere Untergangsszenarien zu verfallen, vermittelt der Film ein klares Bild der Folgen, die ökologische Verwüstung und freier Welthandel auf die Menschheit haben könnten.
Präzise ist der Film besonders in den Details. In die Weltsprache Englisch mischen sich immer wieder französische, spanische, japanische und persische Sprachbrocken, und auch auf der Bildebene treibt Winterbottom die Globalisierung voran. Er mixt Aufnahmen aus Shanghai, Dubai und Jaipur miteinander und entwirft aus den Versatzstücken eine Stadt der Zukunft, die ganz auf spektakuläre Kulissenbauten verzichten kann. Winterbottom gelingt es, die großen Zukunftsthemen in einer kleinen persönlichen Geschichte zu verdichten. Selten hat sich die Zukunft so nah und so kalt angefühlt.

Martin Schwickert
GB 2003 R: Michael Winterbottom B: Frank Cottrell Boyce K: Alwin Kuchler and Marcel Zyskind D: Tim Robbins, Samantha Morton, Jeanne Balibar