MICHAEL COLLINS


Pistolen oder MGs?

Neil Jordans Helden-Epos über den Gründer der IRA

Dreizehn Jahre lang trug der irische Regisseur Neil Jordan die Idee, das Leben des irischen Freiheitskämpfers Michael Collins zu verfilmen, mit sich herum. Aber erst nachdem Jordan sich in Hollywood etabliert hatte und durch Filme wie The Crying Game internationale Anerkennung fand, entschlossen sich die Studios, diesen tonnenschweren historischen Stoff entgegen früherer (politischer) Bedenken zu produzieren. Die lange Wartezeit und ein verführerisch großes Budget von 30 Mio Dollar mögen dazu geführt haben, daß aus der Rebellen-Biographie eine episch allzu breite Heldensaga wurde.
Hierzulande ist Michael Collins allenfalls in gaelophilen Interessentenkreisen bekannt, in Irland ist der Mann eine äußerst umstrittene Legende. Collins hat 1918 die "Irisch-Republikanische-Armee" gegründet und wurde zur Schlüsselfigur im Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialmacht. Wie der Osteraufstand 1916, mit dem der Film beginnt, so scheiterten fast alle Rebellionen in Irland an der mangelhaften Bewaffnung und der sorgfältigen Bespitzelung der republikanischen Widerstandsgruppen. Hochmotiviert rannte man in den vorhersehbaren Heldentot. Als Collins (Liam Neeson) mit seinem Freund und Gesinnungsgenossen Harry Boland (Aidan Quinn) wieder einmal aus dem Knast entlassen wird, beschließt er, daß jetzt Schluß mit lustig ist. Er gründet eine "unsichtbare" Armee, die aus dem Untergrund heraus operiert und für die Besatzer unberechenbar Anschläge auf königstreue Politiker und Informanten des britischen Geheimdienstes verübt. Der Guerillakrieg ist erfunden, und die neue Strategie zwingt die Kolonialmacht in die Knie. Als Collins zu Friedensverhandlungen nach London reist, wird aus dem romantisierten Volksheld ein Realpolitiker. Der Vertrag, mit dem er zurückkehrt, sieht die Teilung des Landes vor und fordert einen zweiten Krieg heraus, in dem nun Collins mit schweren Geschützen gegen irische Rebellen ins Feld zieht. Schließlich wird er zum Opfer einer Kriegsführung, die er selbst erfunden hat.
Von der schillernden, widersprüchlichen Figur des Michael Collins bleibt in Neil Jordans Film wenig übrig. Wie die meisten politischen Bio-Pics leidet auch Michael Collins darunter, daß versucht wird die historischen Wirren der Zeit in einer Figur zu bündeln. Genauso wie Spike Lees Malcolm X bricht auch hier die Filmfigur unter der Last der Zeitgeschichte zusammen. Nur in Seitenblicken wird persönlich-privates Leben wahrgenommen. Substanzlos bleibt die Liebe des Kämpfers zu Kitty Kiernan - Julia Roberts wird hier zum dekorativen Beiwerk der männerdominierten Heldensaga. Entscheidungen werden vom Protagonisten geradlinig getroffen, Gewissenskonflikte ausgeräumt ohne die Integrität der Figur auch nur anzukratzen. Dabei liegt doch gerade in dem Widerspruch zwischen politischen Idealen und dem brutalem, militärischen Kalkül das eigentliche Spannungsfeld des Stoffes. Das politisches Herzensanliegen des Regisseurs, dem irischen Freiheitskämpfer historisch Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, und vor allem das Korsett einer konventionellen Hollywood-Dramturgie, in das sich Jordan hineinzwängen läßt, haben dazu geführt, daß die Ecken und Kanten der Geschichte glattgeschliffen wurden. Und so wirkt die blaustichige Verschwörerszenerie in Dublins dunklen, verregneten Straßen auf Dauer ermüdend und einzig die schauspielerische Leistung von Liam Neeson hält den Film über Wasser.
Michael Collins hat in Großbritanien heftige Diskussionen ausgelöst und wurde als Eröffnungsfilm für das London Film Festival wieder zurückgezogen. Konservative Blätter wetterten, daß hier ein kaltblütiger Terrorist zum Helden gemacht werde. Geschichtswissenschaftler warfen Jordan historische Ungenauigkeit vor. So habe z.B. die britische Armee seinerzeit nicht mit Maschinengewehren, sondern mit Pistolen auf die wehrlosen Zuschauer eines Fußballspiels geschossen. Die Albernheit der Argumentation zeigt, daß die Brisanz dieses Filmstoffes woanders liegen muß.

Martin Schwickert