CYRUS

Ödipaler Kleinkrieg

John C. Reilly heiratet eine Familie. Oder auch nicht.

John (John C. Reilly) kann es kaum fassen, dass eine Frau wie Molly (Marisa Tomei) ihn auf der Party anspricht. Schließlich steht er gerade stinkbesoffen mit weit geöffnetem Hosenlatz im Garten der Gastgeber und pinkelt in die Büsche. Seine Ex-Frau Jamie (Catherine Keener), die bald wieder heiraten wird, hat ihn auf diese Party geschleppt in der Hoffnung, dass er nach sieben Jahren Trennung endlich wieder Kontakt zum anderen Geschlecht aufnimmt. John versucht es, flirtet auf die ehrliche Tour, erzählt von seinen Trennungsproblemen und davon, dass er so viel zu geben hätte.

Die Frauen runzeln die Stirn, der Mann wird immer betrunkener, bis Molly, die Johns vergebliche Kontaktversuche belauscht hat, neben dem vor sich hin urinierenden Mauerblümchen steht und die magischen Worte spricht: "Hübscher Penis!"

Die beiden verbringen diese und die nächsten Nächte zusammen, aber am frühen Morgen schleicht sich Molly immer wieder aus der Wohnung. "Mein Leben ist kompliziert" sagt sie nur, und John bekommt bald heraus, dass das Komplizierte in ihrem Leben einen Namen hat: Cyrus (Jonah Hill), Mollys 21jähriger Sohn, der mit seiner Mutter ein ungesund inniges Verhältnis hat. Der Junge sieht aus wie ein Riesenbaby und wenn er den neuen Stiefvater in die Arme schließt, ist man sich nicht sicher, ob er ihn nicht erdrücken will.

Cyrus redet ungeheuer erwachsen daher und findet es auch echt in Ordnung, dass ein Mann wie John nun ins Leben seiner Mutter getreten ist. Aber schon nach der ersten Nacht in Mollys Haus sind Johns Turnschuhe auf mysteriöse Weise verschwunden, und das ist erst der Beginn eines ödipalen Kleinkrieges, den Cyrus mit viel psychologischem Geschick entfacht.

Wie leicht könnte ein solcher Stoff mit einer kräftigen Portion Schenkelklopfhumor versetzt im Sumpf der Banalität versinken. Aber die Gebrüder Jay und Mark Duplass, die für Regie und Drehbuch verantwortlich zeichnen, haben ein sehr scharfes Auge für Charaktere und Beziehungsstrukturen und die Liebe zum emotionalen Detail ist die nahrhafte Grundlage für diese sehr unterhaltsame Komödie. Die durchaus krankhaft ödipale Mutter-Sohn-Beziehung wird hier nicht an den Pranger gestellt, sondern mit Humor und Neugierde erforscht und gespiegelt mit dem ebenfalls nicht sehr gesunden fürsorglichen Verhältnis, das John zu seiner Ex-Frau unterhält.

Nur im letzten Viertel, wenn sich die Konflikte zwischen Muttersohn und Stiefvater vom subtilen Psychokrieg zur offenen Schlacht entwickeln, verliert der Film streckenweise seine Feinabstimmung. Vor allem aber überzeugt Cyrus durch sein erstklassiges Ensemble. Okay, John C. Reilly macht ein wenig zu viel auf Teddybär. Aber Jonah Hill, der sich bisher an grobschlächtige Komödien wie Superbad oder Männertrip verschwendet hat, füllt die Rolle des ödipalen Kriegers ungeheuer nuancenreich aus, und Marisa Tomei, deren Figur sich als Objekt der Begierde weniger wortreich erklären darf, spielt die indifferente Haltung der Mutter, die viel zu spät lernt ihre Grenzen zu ziehen, einfach fabelhaft.

Martin Schwickert

USA 2010 R: Jay Duplass, Mark Duplass K: Jas Shelton D: John C. Reilly, Jonah Hill, Marisa Tomei, Catherine Keener