Dancer in the Dark

Die Welt ist schlecht

Lars von Triers schmerzhaftes Melodram

Wahrscheinlich gibt es auf der Welt nur einen Regisseur, der Catherine Deneuve dazu bringen kann, vor laufender Kamera zu bellen. In Lars von Triers Dancer in the Dark spielt die französische Filmdiva eine amerikanische Fabrikarbeiterin, die nach Feierabend in einem Laienspielensemble probt und dort gelegentlich auch Tierstimmen imitieren muss. Die Deneuve als bellende Proletarierin - von solch bizarren Paradoxien lebt der neueste Streich des dänischen Kinoexzentrikers. In bunten Farben erzählt Dancer in the Dark vom Erblinden. Gefällige Musicalklänge vermischen sich mit beinharter Melodramatik.

Im Mittelpunkt steht Björk. Die isländische Pop-Ikone spielt die tschechische Einwanderin Selma, die sich in einer US-Kleinstadt der 60er Jahre durch den harten proletarischen Alltag schlägt. Selma liebt Musicals. Mit ihrer Arbeitskollegin Kathy (Catherine Deneuve) verbringt sie die Sonntagnachmittage im Kino. In der örtlichen Amateuraufführung von "The Sound of Music" soll sie die Hauptrolle übernehmen. Auch während der Arbeit in der Stanzfabrik flüchtet sie sich immer wieder in die heile Welt des Musicals. Der Rhythmus der Maschinen oder das gleichmäßige Rattern der Güterwaggons bilden die fließenden Übergänge in die Traumwelten, in der die Holzfäller auf dem fahrenden Zug und die ölverschmierten Arbeiter in der Fabrik zu tanzen beginnen. Selma leidet an einer erblich bedingten Augenkrankheit. Schon bald wird sie nicht mehr sehen können. Jeden Penny legt die alleinerziehende Mutter zur Seite, um ihrem Sohn durch eine kostspielige Operation das gleiche Schicksal zu ersparen. Ihr Nachbar, der Polizist Bill (David Morse), hat sich hoch verschuldet und bittet Selma um finanzielle Hilfe. Selma lehnt ab. Wenig später ist die Keksdose mit dem Ersparten verschwunden. Als Selma Bill zur Rede stellen will, ist dieser nur bereit, das Geld zurückzugeben, wenn Selma seinem sinnlosen Leben ein Ende bereitet.

Lars von Trier beweist sich wieder einmal als Meister des radikalen Melodrams. Selbst die abgebrühte Kritikerschar bei den Filmfestspielen in Cannes, wo der Film die Goldene Palme erntete, soll sich während der frühmorgendlichen Pressevorführung in Tränen aufgelöst haben. Dabei sind die Zutaten durchaus klassischer Natur: die aufopfernde Mutter, die schicksalhafte Krankheit, das gebündelte Geld, das alle Freundschaft zerstört ... all das gehört zum Repertoire Hollywoods.

Natürlich geht Lars von Trier weit darüber hinaus. In schmerzender Ausführlichkeit wird gezeigt, wie Bill Selma in die Mordtat hineinzwingt, und gegen von Triers Hinrichtungsdramaturgie sind Filme wie Dead Man Walking ein Sonntagsspaziergang. In Hollywood-Produktionen führt die Überhöhung des Tragischen oft zu Abwehrreaktionen. Dancer in the Dark hingegen nimmt einen gefangen. Man mag diesen Film wegen seines aufdringlichen Erlöser-Katholizimus' nicht mögen. Entziehen kann man sich ihm trotzdem nicht. Dafür sorgt alleine schon Björk, die hier ein hinreißendes Leinwanddebüt vorlegt und den Soundtrack gleich mitliefert. Dafür sorgen auch die traumsicher choreografierten Musicaleinlagen, die hervorragende Kameraarbeit Robby Müllers und natürlich: die bellende Catherine Deneuve.

Martin Schwickert

Dänemark/Schweden/Frankreich 2000 R + B: Lars von Trier K: Robby Müller D: Björk, Catherine Deneuve, David Morse, Peter Stormare , 140 Min.