»DARK CITY«

Mehr Licht!

Nur die Liebe zählt

Wenn Alex Proyas nicht so eine kitschige Kindheit gehabt haben wollte, könnte er der nächste David Fincher werden. Nachtmahrisch genug sind seine Filmerfindungen, zuerst in The Crow , jetzt schon wieder in einer dunklen Stadt ohne Namen. Nur läuft immer irgendwo ein unschuldiges Blag herum, dem es die Welt ein wenig freundlicher zu machen gilt. In Dark City , immerhin, noch vor der Krähe konzeptioniert, ist der zu rettende Knabe eine Fiktion. Und rettet einen Erwachsenen ohne Gedächtnis.
Deutsche bemerken vielleicht verstört, daß der (Rufus Sewell) aussieht wie ein durchtrainierter Wiglaf Droste - Amerikaner erkennen eventuell stolz, daß das Leben nur glücklich macht, wenn man's sich neu erfindet. Aber bis zum Sonnenaufgang ist noch lang.
Zuerst erwacht John Murdoch orientierungslos, mitten in der Nacht, mit einer hingemetzelten Frauen-Leiche im Nebenzimmer und keiner Ahnung, wie beide dahin gekommen sind. Oder wer wer ist. Oder wo es zurück nach Hause geht.
Nur ein paar Anhaltspunkte legen nahe, daß wir in einem Schwarze-Serie-Remake stecken. Die Postkarte aus einer vergessenen Vergangenheit - die schwankenden, schwachen Lampen über der regennassen Straße - die zerknitterten Zeitungssausschnitte in der Tasche des langen Mantels: Serien-Killer gesucht!
Gesucht von William Hurt, der einen müden Detective gibt, der seinen breiten Hut nur absetzt, um traurige Weisen auf dem Akkordeon zu spielen, das ihm seine Mutter auf dem Sterbebett schenkte. Leider kann er sich nicht mehr erinnern, wann das war.
Gesucht auch von einer Frau, die jeden Abend dasselbe Lied in derselben Bar singt, möglicherweise Anna heißt und möglicherweise mit der Hauptperson verheiratet ist. Gesucht besonders von Kiefer Sutherland als hinkendem Horror-Psychiater, der gefährlich kichernd immer neue Erinnerungen auf seine Spritzen zieht.
Und verzweifelt gesucht von mysteriösen Fremden, die das Geheimis der Individualität lüften wollen. Und alle aussehen, als hätte René Magritte Momo neu bebildert.
Sie sind nämlich Kollektiv-Wesen aus dem Weltraum ... aber hier fallen tiefe Schatten auf den Plot, der sich zu recht hinter alptraumatisch dunkligem Design versteckt. Nie wird es Tag, keine U-Bahn führt aus der Experimental-Stadt hinaus, wer heute noch arbeitslos war, kann morgen Industrieller sein ... oder tot.
Nur hin und wieder durchzucken Erinnerungs-Fetzen die Köpfe des Personals (alle scheinen am Strand groß geworden zu sein) - und immer, wenn die Zuschauer die Quelle des Zitats erkennen ( Alien 4, Hudsucker Proxy, Scanners, The Crow, Twilight Zone ... und dieses verrückte Schwarz-Weiß-Ding aus den 90ern, in dem ein Straßenbahn-Schaffner auf dem Mond landet - aber ich hab' den Titel vergessen) - immer dann entpuppt sich das Gedächtnis als gefälscht.
Dagegen hilft nur, die Realität tatsächlich umzuerfinden. Die Fremden tun das irgendwie techno-spiritistisch jeden dunklen Tag aus Perfidie; der Held lernt es im Laufe des langen Nacht aus Romantik: denn wenn nur zwei fest genug daran glauben, dann lieben sie sich auch - und die Sonne geht auf, über einer einsam im All schwebenden riesigen Scheibenwelt-Stadt. Ohne Geschichte (wie Amerika), ohne Zukunft (wie die Welt), aber mit einer Buhne an der frisch imaginierten Waterfront, auf der man sein Mädchen kennenlernen kann.
Die ist natürlich Kino-Kassiererin - und Alex Proyas sollte als nächstes unbedingt Philip K. Dicks "A Scanner Darkly" verfilmen.

WING