Das bessere Leben

Mit offenem Blick

Juliette Binoche baut Vorurteile über Prostitution ab

Wenn es um Prostitution geht, ist das Kino schnell mit Stereotypen bei der Hand. Da ist die Version männerverträumter Verklärung, die den käuflichen Sex als Teil eines verruchten Lebenswandels stilisiert. Und da ist der Blick des Sozialdramas, das die Prostituierten als wehrlose Opfer einer materialistischen Gesellschaft begreift, in der auch die Liebe längst zur Ware geworden ist.

Gegen die Klischees setzt die in Frankreich lebende polnische Regisseurin Malgoska Szumowska in Das bessere Leben einen gezielt vorurteilsfreien Blick auf die jungen Studentinnen, die in Paris als Escort-Girls arbeiten, und kontrastiert deren Lebensweise mit der bürgerlichen Existenz der Journalistin Anne (Juliette Binoche), die für das Frauenmagazin Elle eine Reportage über die Prostituierten schreiben will.

Am Anfang weht durch Annes Fragen noch der Geist vorsichtiger Überheblichkeit, der aber schnell einer Neugier auf das Leben der jungen Frauen weicht, die so gar nicht in die feministischen Opferklischees passen wollen. Die polnische Studentin Alicja (Joanna Kulig) hat kein Stipendium bekommen und finanziert sich als Escort-Girl eine ordentliche Wohnung und einen sorglosen Lebensstil. Auch für Charlotte (Anaïs Demoustier) ist das Geschäft mit den Freiern eine Möglichkeit, schnell zu Geld zu kommen und sich den erwünschten Lebensstandard leisten zu können. Sie will ihre ärmliche Herkunft, den "Geruch von Acryl-Pullovern und Sperrholzmöbeln" weit hinter sich lassen und träumt von einer wohlhabenden, bürgerlichen Existenz nach dem Studium - ein Leben, wie Anne es schon lange hat und das die etablierte Journalistin durch die Gespräche mit den jungen Frauen zunehmend zu hinterfragen beginnt.

Annes Ehealltag mit ihrem Mann Patrick (Louis-Do de Lencquesaing) ist von Pragmatismus geprägt und die beiden pubertierenden Söhne distanzieren sich immer deutlicher von ihr. Das Gefühl der Fremdheit unter Männern erfasst sie in ihrem direkten Familienumfeld und wird durch die Berichte der Prostituierten von ihren unterschiedlichen sexuellen Dienstleistungen verstärkt.

Von den Fesseln der Chronologie befreit springt der Film zwischen den Gesprächen mit den Prostituierten, den teilweise durchaus expliziten Sexszenen und der Schilderung des kriselnden bürgerlichen Alltags der Protagonistin hin und her. Die Begegnungen mit den beiden Frauen werden für Anne zu einer grundlegenden Irritation ihres eigenen Lebens, bis sie bei einem wodkagetränkten Nachmittag mit Alicja im Hotelzimmer selbst zur Verführten wird oder beim Abendessen zu Hause statt der Gäste die Freier ihrer Interviewpartnerinnen vor sich sieht.

Die Stärke von Szumovskas Film besteht darin, dass er aus der Position der Unvoreingenommenheit eine fundamentale Verunsicherung der Heldin und des Publikums entwickelt, ohne sie in einer moralisierenden Schlusswendung wieder zu relativieren.

Martin Schwickert

"Elles" F/P/D 2011 R: Malgoska Szumowska B:Tine Byrckel, Malgoska Szumowska D: Juliette Binoche, Anaïs Demoustier, Joanna Kulig