Das Blaue vom Himmel

Mama ist weg

Historiendrama und persönliche Schuld: Hannelore Elsner verliert den Überblick

Der Ballon mit dem frisch vermählten Paar hebt ab in den Himmel und lässt die Hochzeitsgesellschaft unten am sonnigen baltischen Sommerstrand zurück. Die Braut strahlt rotwangig der fein heraus geputzten Menschenmenge entgegen. Der Blick des Bräutigams hingegen verfängt sich. Sein Lächeln weicht aus dem Gesicht, als er unten am Rand der Dünen die Frau erkennt, die er eigentlich liebt.

Die Idylle, die Hans Steinbichler in seinem historischen Melodrama Das Blaue vom Himmel vor der Kulisse Lettlands in den dreißiger Jahren entwirft, hat nur wenige Filmminuten Bestand. Aber nicht nur Untreue und Eifersucht stehen dem Eheglück von Marga (Karoline Herfurth) und Juris (Niklas Kohrt) im Wege, sondern auch die Wirren der Zeitgeschichte, die im Zweiten Weltkrieg über das Baltikum hereinbrechen.

Als in Folge des Hitler-Stalin-Paktes die Rote Armee 1940 in Lettland einmarschiert, hat die deutschstämmige Marga die Koffer schon gepackt und will ihren lettischen Ehemann ebenfalls heim ins Reich bringen. Der steigt jedoch im letzten Moment aus dem Zug und kehrt zu seiner Geliebten Iewa (Juta Vanaga) zurück.

Marga ist eine Frau, die weiß, was sie will. Zurück in Riga versucht sie mit allen Mitteln Juris zurück zu gewinnen und denunziert die Rivalin bei der sowjetischen Besatzungsmacht. Der Verrat und die Schuld begleiten Marga ein Leben lang.

Fast fünfzig Jahre später ist sie an Alzheimer erkrankt und büchst aus dem Pflegeheim aus. Ihre Tochter Sofia (Juliane Köhler) reist aus Berlin an und merkt schnell, dass es bei der verwirrten Mutter (Hannelore Elsner) um Sünden der Vergangenheit geht. Die beiden fahren nach Riga, wo gerade die Menschen für die Unabhängigkeit auf die Straße gehen und lang verdrängte Familiengeheimnisse gelüftet werden.

Mit Das Blaue vom Himmel tritt der bekennende bayrische Heimatfilmer (Hierankl / Winterreise) aus seinem vertrauten Milieu heraus und begibt sich geografisch, geschichtlich und stilistisch auf neues Terrain. Dabei bewegt sich Steinbichler in seiner Rückblendendramaturgie sehr sicher durch die Wirren der baltischen Historie, ertränkt die Bilder nicht in Retro-Rausch und Kostümwahn, sondern behält den Fokus auf die Schuldverstrickungen seiner Hauptfigur, die das repressive Besatzungsregime für ihren privaten Nutzen in Gebrauch nimmt.

Die Schwächen des Filmes liegen allerdings auf der Gegenwartsebene, auf der Hannelore Elsner ihre an Alzheimer erkrankte Figur derart kunstvoll verkünstelt anlegt, dass man das Interesse und Mitgefühl, das man in den Rückblenden für die Protagonistin aufgebaut hat, bei der Begutachtung einer weiteren Elsner'schen Tour de Force schon bald wieder verliert.

Martin Schwickert

D 2011 R: Hans Steinbichler B: Josephin Thayenthal, Robert Thayenthal K: Bella Halben D: Juliane Köhler, Hannelore Elsner, Karoline Herfurth