Dead Man Down

Racheengel

Zwei verlorene Seelen in einem bemerkenswerten Thriller

Ihre Balkons liegen einander gegenüber. Dazwischen gähnt der fast zwanzig Stockwerke tiefe Abgrund eines tristen New Yorker Backsteinbaus. Verhalten winken sich Victor (Colin Farrell) und Beatrice (Noomi Rapace) zu. Langsam hebt erst sie, dann er die Hand, als wollten beide die möglichen Konsequenzen dieser zaghaften Geste abschätzen.

Wenig später sitzen sie gemeinsam im Restaurant und arbeiten schleppend das Kennenlernprozedere ab. Von seinem Job als Helfershelfer für die Drogenmafia kann Victor nichts erzählen. Und auch das halbseitig vernarbte Gesicht der Kosmetikerin taugt als Sujet wenig für eine abendfüllende Kommunikation. Alle Schüchternheit weicht mit einem Schlag aus dem Gespräch, als Beatrice auf der Heimfahrt ihr iPhone auspackt und ihm ein Video vors Gesicht hält. Darauf ist deutlich zu sehen, wie Victor in seiner Wohnung einen Mann umbringt. Das solle, so fordert die von der potentiellen Geliebten zur Erpresserin gewandelten Nachbarin, Victor auch für sie tun. Es gelte den Fahrer, der betrunken den Autounfall verursacht und ihr Gesicht verunstaltet hat, final zur Rechenschaft zu ziehen. Rache - damit kennt Victor sich besser aus, als es Beatrice oder die Kollegen von der Drogenmafia ahnen. Die haben nämlich seine Frau und seine Kinder auf dem Gewissen und werden nacheinander zu Opfern von Victors Vergeltungsfeldzug.

Auch der dänische Regisseur Niels Arden Oplev ist mit diesem Sujet gut vertraut. Er verfilmte mit Verblendung den ersten Teil von Stieg Larssons Millennium-Trilogie, in der das Rachemotiv der wichtigste Treibstoff der Erzählung war. Der Erfolg des Filmes ermöglichte nicht nur der schwedischen Hauptdarstellerin Noomi Repace eine Karriere in Hollywood, sondern beschert nun auch dem Regisseur seine erste amerikanische Produktion.

Wie sich das für das US-Debüt eines Europäers gehört, ist Dead Man Down ein tollkühner Hybrid. Auf der einen Seite ein typisches Genrestück im Gangstermilieu mit wilden Schießereien, schmerzhaften Gewaltszenen und beträchtlichem visuellen Stilvermögen. Auf der anderen Seite wirkt der Film schon fast wie ein Melodrama um zwei Rachsüchtige, die einander verfallen und merken, dass die frische, in die Zukunft gerichtete Liebe eigentlich nicht mit den rückwärtsgewandten Vergeltungsplänen in Einklang zu bringen ist. Die erwachende Zuneigung ist fragil und der Wille zur radikalen Traumabewältigung scheinbar allmächtig.

Im Gegensatz etwa zu Tarantino, bei dem Rache eher eine Frage des Lifestyles ist, verhandelt Oplev sein Thema vollkommen ironiefrei. Dabei verbinden sich Gangsterfilmgenre, Liebesdrama und lebensphilosophische Diskurse in Dead Man Down keineswegs zu einem homogenen Ganzen, genauso wie die ausgeklügelte Plotstruktur, die immer wieder neue Wendungen aus dem Hut zaubert, nicht restlos aufgeht. Aber diese Unvollkommenheit passt dann auch wieder zu einem Film, in dem zwischen halsbrecherischen Verfolgungsjagden und Feuergefechten die eigentliche Heldentat im Zweifeln besteht.

Martin Schwickert

USA 2013 110 min R: Niels Arden Oplev B: J.H. Wyman K: Paul Cameron D: Colin Farrell, Noomi Rapace, Isabelle Huppert