Der Anständige

Belangloses Geschmuse

Ein weiterer Versuch, den SS-Verbrecher Himmler zu vermenschlichen

Viele liebe Grüße und Küsse, dein Heini." So schloß Heinrich Himmler einen seiner Briefe an seine Frau Marga. Dieser Brief gehört zu jenen Dokumenten, Tagebüchern, Fotos, privaten Briefen und Notizen, die Soldaten der 88. US-Division fanden, als sie am 6. Mai 1945 das Haus der Familie Himmler in Gmund am Tegernsee besetzten. Das Material gelangte auf verschlungenen Pfaden nach Israel, wo es vor einiger Zeit wieder auftauchte. Mit diesen lang verschollenen Originalquellen als Basis will Regisseurin Vanessa Lapa in ihrem Dokumentarfilm Der Anständige ein Portrait des "Architekten des Holocaust" zeichnen. Für sie als Nichthistorikerin sei das alles neu gewesen, sagte sie in einem Interview.

Es gibt keinen Kommentar, keine Spielszenen oder Interviews. Höchstens mal eine Jahreszahl als Orientierungshilfe. Die Texte sollen für sich sprechen. Dazu sieht man Bilder aus dem Nachlass der Familie Himmler, historische Aufnahmen und Fotos. Es gibt digital bearbeitete Bilder, mit jenem derzeit angesagten 3D-Effekt, der zweidimensionalen Bildern Tiefe verleiht und sie lebendiger aussehen lassen soll. Auch der Sound wurde aufwändig bearbeitet.

Das Problem des Films besteht darin, dass er keine neuen Fakten enthält. Erschwerend kommt hinzu, dass man ohne Vorwissen nicht alles richtig wird einordnen können. Der Anständige kann als eine Ergänzung des Bekannten betrachtet werden.

Jugend und Studienzeit des aus einer bürgerlichen katholischen Beamtenfamilie mit guten Verbindungen zum Bayrischen Adel stammenden Himmler werden schnell und oberflächlich abgehandelt. Viel Raum nimmt ab 1927 die private Korrespondenz zwischen Heinrich und Marga Himmler ein. Man erfährt, dass sie sich mit "mein geliebter Landsknecht" oder "meine geliebte, süße, kleine Frau" anredeten. Auf Details des Herrschaftsalltags des NS-Regimes oder des mörderischen Treibens der SS verzichtet Himmler. Hier und da gibt es rassistische und antisemitische Äußerungen von ihm oder seiner Frau, einer überzeugten Nationalsozialistin. Dass Nazi-Größen Massenmord und Familienidylle problemlos miteinander vereinbaren konnten, ist seit den Aufzeichnungen des Auschwitzkommandanten Höß bekannt.

Olaf Kieser

Israel/AUT/D 2014 R: Vanessa Lapa B: Vanessa Lapa, Ori Weisbrod K: Jeremy Portnoi Sprecher: Tobias Moretti, Sophie Rois, Antonia Moretti, Lenz Moretti. 94 Min.