DER ARCHITEKT

Das kalte Herz

Josef Bierbichler spielt schon wieder einen müden Mistkerl

Der Mann heißt Winter, und das nicht ohne Grund. Josef Bierbichler spielt ihn. In Winterreise spielte er den ausgebrannten Unternehmer, der am Morgen die Fenster aufreißt und sich in Unterhosen die eiskalte Winterluft um den Körper wehen lässt. In Ina Weisses Der Architekt gibt es auch so ein Bild. Da rennt Georg Winter mit seiner Tochter splitterfasernackt hinaus in die morgendliche Schneelandschaft. Ein Vater-Tochter-Ritual und ein kurzer Moment des Glücks, der zeigt, dass da vielleicht einmal etwas gewesen ist, was diese desolate Familie zusammengehalten hat.

Davon ist nach dreißig Ehejahren und einer anstrengenden Karriere kaum noch etwas übrig geblieben. Winter ist nur noch der matte Abglanz des Patriarchen, der er einmal war. Nicht dass er seine Familie nicht mehr im Griff hätte. Beim Streit um die Musik im Auto hat er immer noch das letzte Wort, auch wenn Gattin Eva und die erwachsenen Kinder Jan und Reh sich über den grantelnden Vater aufregen. Aber Georgs Gesten der Machtausübung wirken abgenutzt, lustlos und müde. Dass er sich manchmal ans krampfende Herz fassen muss, verschweigt er seiner Familie ebenso wie so manche dunklen Flecken in der Vergangenheit.

Aber genau dorthin, in die Vergangenheit, geht die Reise, auf die Ina Weisse in ihrem beachtlichen Regiedebüt die kriselnde Sippschaft schickt. Georgs Mutter, die er seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat, ist gestorben. Widerwillig macht sich der gefeierte Hamburger Architekt samt Anhang auf zum Ort seiner Kindheit in den Tiroler Alpen. Mehr als vierundzwanzig Stunden sind nicht eingeplant für den Kondolenzbesuch, aber als eine Lawine auf der Straße niedergeht, sitzen die Städter in dem abgelegenen Bergdorf erst einmal fest.

In der Enge der verwahrlosten Bauernkate implodieren die aufgestauten Aggressionen, werden verdrängte Erinnerungen und versteckte Altlasten freigelegt.

Mit feinem psychologischem Gespür zeichnet Ina Weisse ihre Familienaufstellung vor alpiner Winterkulisse. Machtvollen Bergmotiven geht sie dabei aus dem Wege, lenkt den Blick vielmehr auf die dörfliche Enge und die Eingrenzung des Horizonts durch die landschaftlichen Gewalten. Natürlich ist Bierbichler das Epizentrum des Films, und wieder einmal kann man sich keinen anderen Schauspieler in seiner Rolle vorstellen.

Auch hier erweist sich Bierbichler als Meister der Feineinstellung, der die Figur des stürzenden Patriarchen auf dem schmalen Grat zwischen Aversion und Mitleid ausbalanciert.

Aber auch die Restfamilie ist gut orchestriert: Hilde Van Mieghem als selbstbewusste Ehefrau, die nicht aufhört sich die Krallen an ihrem Mann zu schärfen, Matthias Schweighöfer in der Rolle des ungeliebten, dahin driftenden Sohnes und Sandra Hüller als verbissene Violinistin sind würdige Rivalen im Familienkrieg, den Ina Weisse mit einer gelungenen Mischung aus Empathie und Gnadenlosigkeit in Szene setzt.

Martin Schwickert

D 2008 R: Ina Weisse B: Ina Weisse, Daphne Charizani K: Carl F. Koschnick D: Josef Bierbichler, Hilde Van Mieghem, Sandra Hüller, Matthias Schweighöfer