DIE FREMDE IN DIR

Kleine Verluste

Jodie Foster als Racheengel, in einem Thriller von Neil Jordan

Die Filmgeschichte - vor allem die amerikanische - ist voll von Männern und Frauen, die das Recht in die eigene Hand nehmen. Viele "Revenge-Movies" werben mit reaktionärem Ballast ganz unverhohlen für die Macht der Selbstjustiz. Andere - wie etwa Tarantinos Kill Bill - finden Rache einfach nur sexy. Und dann gibt es noch Filme wie Neil Jordans Die Fremde in dir . Jodie Foster spielt hier ein traumatisiertes Gewaltopfer, das selbst zur Waffe greift.
Mit Mikrophon und Aufnahmengerät wandelt Erica Bain durch New York und beschreibt in ihrer poesievollen Radiosendung "Street Walk" das pralle Leben in der Metropole. New York - das ist ihre Stadt, durch die sie sich selbstverständlich und sicher bewegt. Bis zu jener Nacht im Central Park, als Erica und ihr Verlobter brutal zusammengeschlagen werden. Erica überlebt den Überfall nach dreiwöchigem Koma. Ihr Verlobter stirbt an den Verletzungen. Danach ist die selbstbewusste Großstädterin fundamental verunsichert und tut das, was die meisten Amerikaner tun, wenn sie Angst haben: Sie kauft eine Knarre.
Jodie Foster spielt die Nuancen der Charakterveränderung perfekt aus, die mit dem Besitz und der Anwendung der Waffe einhergehen. Der erste Mord bei einem Überfall auf einen Lebensmittelladen geschieht noch aus Notwehr. Beim zweiten Mal, wenn Erica zwei Schwarze niederschießt, die Fahrgäste in der U-Bahn bedrohen, blitzt schon die Lust am Töten auf. Gezielt bringt Erica sich fortan in Gefahrensituationen, bietet sich als scheinbar wehrloses Opfer an, um die Täter zur Strecke zu bringen.
In ihrer Rolle als Journalistin lernt sie den ermittelnden Detective Sean Mercer (Terrence Howard) kennen, der seine eigenen Erfahrungen mit der Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit gemacht hat. Mercer ahnt zunächst nicht, dass ihn die Indizien, die er am Tatort sammelt, zu der Frau führen, die er bisher nur als Opfer eines Verbrechens wahrgenommen hat.
Mit seiner durchaus diskussionswürdigen Schlusswendung reiht sich Die Fremde in dir scheinbar ein in die Reihe der Rache-Thriller, die Selbstjustiz als Alternative zur Agonie des Rechtsstaates propagieren. Aber der Blick vom Ausgang der Geschichte aus greift zu kurz. Denn die Stärke von Jordans Film (und Fosters Darstellung) liegt darin, dass er sehr genau die Wandlung vom traumatisierten Opfer zur rachsüchtigen Täterin beschreibt - und die psychischen Deformierungen, die damit einher gehen.
Der einfachste Weg mit Gewalt auf Gewalt zu antworten, wird hier nicht als Stärke gefeiert, sondern als Ausdruck des Selbstwertverlustes aufgezeigt, der sich auch und gerade mit der Waffe in der Hand nicht aufhalten lässt. Unter der polierten Thriller-Oberfläche findet sich eine durchaus kritische Studie über die seelischen Defekte der US-Gesellschaft. Auch wenn es keinen direkten Verweis auf den 11. September gibt, ist es definitiv kein Zufall, dass der Film in New York angesiedelt ist.

Martin Schwickert

The Brave One USA 2007. R: Neil Jordan B: Roderick Taylor, Bruce A. Taylor, Cynthia Mort K: Philippe Rousselot D: Jodie Foster, Terrence Howard