DIE FRAU DIE SINGT

Üble Geschichte

Das berührende Melodram über den Libanon-Krieg in den 80er Jahren war als "Bester fremdsprachiger Film" für den Oscar nominiert. Er hätte ihn verdient gehabt.

Mit dem Tod ist nie etwas zu Ende, es gibt immer Spuren", sagt der alte Notar zum jungen Simon. Simons Mutter hat 18 Jahre lang als Sekretärin des Notars in Montreal gearbeitet. Jetzt ist sie gestorben und lässt über den Notar zwei Briefe an Simon und seine Zwillingsschwester Jeanne aushändigen: Ihr habt einen Bruder und euer Vater lebt. Findet sie.

Für Jeanne und Simon ist beides überraschend. Und während Simon instinktiv abblockt und keine Nachforschungen anstellen will, reist Jeanne in die Heimat ihrer Mutter, den Libanon.

In Rückblenden und gleichzeitig Jeannes Recherche folgend, erzählt der Film Die Frau, die singt eine Geschichte von Mord, Ehre, Rache und Massakern. Wir sind im Libanon der 80er Jahre, die Falangisten fallen über die Moslems her und umgekehrt. Jeannes Mutter Nawal hat sich falsch verliebt, und noch bevor ihr erstes Kind geboren wird, ist der Vater tot, erschossen von Nawals Bruder.

Während Tochter Jeanne wie eine Historikerin durch den inzwischen befriedeten, gegenwärtigen Libanon reist, sehen wir die gleichen Orte zur Zeit der Morde und Massaker. Auch Narwal bleibt nicht nur Opfer und reiht sich ein in den Kreis von Gewalt und Rache und zahlt dafür einen furchtbaren Preis.

Man merkt dem Film des Kanadiers Denis Villeneuve seinen Ursprung als Theaterstück zu keiner Sekunde an. Er benutzt die Bildsprache des Kinos, um Entsetzen zu forcieren. Staubige Straßen, kahle Hügel mit roter Erde und schweigsame Dörfler künden von einem Land, in dem niemand mehr seinem Nachbarn traut. Und wo eine lange Geschichte der gegenseitigen Rache es unmöglich macht, den Ursprung des Leidens zu finden: Wer hat mit all den Morden angefangen?

Die Stärke des Films liegt auch darin, dass er die Konflikte nicht einmal streift. Christen schießen auf Moslems und umgekehrt - warum, spielt eigentlich keine Rolle. So wird der Sohn der Christin Nawal, aufgewachsen in einem christlichen Waisenhaus und entführt von moslemischen Milizen, ein fanatischer Kämpfer für die Sache Allahs. Mit einer einzigen stummen Szene zeigt uns der Film den Kindermörder, der von Kindermördern ausgebildet wurde.

Es ist verwunderlich, wie Die Frau, die singt uns versöhnlich aus den Erinnerungen an diese Epoche entlässt, ohne der kitschigen Beliebigkeit des Allesvergebens zu verfallen. Kleine Begebenheiten und Gesten deuten an, dass die gegenwärtige Ruhe im Libanon immer noch eine zerbrechliche ist.

Wie sagt der alte Notar in Montreal zu Anfang: "Mit dem Tod ist nie etwas zu Ende, es gibt immer Spuren."

Thomas Friedrich

Incendies. Kanada. 2010 R & B: Denis Villeneuve. Nach dem Stück von Wajdi Mouawad K: André Turpin D: Lubna Azabal, Mélissa Désormeaux-Poulin, Maxim Gaudette, Rémy Girard.