DIE UNBEKANNTE

Langes Elend

Giuseppe Tornatore erzählt die Geschichte von der Hure mit Herz nochmal.

Die Ukrainerin Irina (Xenia Rappoport) kommt nur mit einer Reisetasche im Gepäck in einer italienischen Stadt an, nimmt sich eine Wohnung mit Blick auf ein herrschaftliches Haus und versteckt ihre Reisetasche, die mit Geld vollgestopft ist, unter den Dielen ihres Wohnzimmers. Sie setzt alles daran, in besagtem herrschaftlichen Haus eine Putzstelle zu bekommen und geht dafür einen Deal mit dem zuständigen Hausmeister ein, der einen Teil ihres Lohns bekommt, wenn er ihr eine Anstellung verschafft. Kaum eingestellt, schließt sie Freundschaft mit dem schon etwas betagten Kindermädchen Gina, das auf die kleine Tea, Tochter der Juwelierfamilie Adacher aufpasst.

Der aufmerksame Zuschauer ahnt bereits, dass mit Irina etwas nicht stimmt und dass sie ein Übermaß an Interesse für die Familie Adacher zu hegen scheint. Spätestens als sie dafür sorgt, dass Gina die lange Treppe dramatisch hinabstürzt und spektakulär mit einem Geräusch brechender Knochen in einer sich rasch bildenen Blutlache liegen bleibt, ist es bei jedem Zuschauer angekommen.

Irina bekommt den Job als neues Kindermädchen und baut eine merkwürdig starke Bindung zu Tea auf, für die sie der Fels in der Brandung innerhalb einer Familie ist, in der Superdaddy nie Zeit für seine Prinzessin hat und die dauergestresste Mutti leicht distanziert gegenüber ihrer Tochter auftritt.

Begleitet wird das Voranschreiten der Geschichte mit Flashbacks Irinas, die kurze Sequenzen ihrer gewaltbestimmten Vergangenheit zeigen, aber auch eine Liebesaffaire zwischen ihr und einem Italiener (Schema Adoniskörper und schwarzes volles Haar) andeuten. So soll sich langsam das Geflecht um die rätselhafte Persönlichkeit der Ukrainerin auflösen, allerdings geht das relativ schnell. So viel sei verraten: Irina war Prostituierte. Die Unbekannte macht zu Beginn den Anschein eines guten Psycho-Thrillers nach Hitchcock-Manier, und Giuseppe Tornatore schafft es, mit wenig Gesprächsanteil, viel Kameraarbeit und dramatischer Filmmusik die Spannung des Zuschauers zu halten. Einen weiteren Pluspunkt gibt es für eine unerwartete Wendung im Plot, nach der ein Ende des Filmes vermutlich das Schlimmste verhindert hätte, aber es geht weiter, bis die 180min.-Marke erreicht ist. Leider!

Die anfangs gut eingesetzte dramatische Musik wirkt irgendwann belästigend, während es scheint, als habe Tornatore den Gebrauch des Stilmittels der Flashbacks (genau wie den letztendlichen Verbleib des Exkindermädchens Gina) ab einem bestimmten Zeitpunkt einfach vergessen.

Trotz der langen Spieldauer bleiben viele offene Fragen, die Geschichte weist mehr als ein bis drei Ungereimtheiten auf, die man mit einem "es ist eben ein Film" abtun könnte. Das Happy End versetzt dem Ganzen dann endgültig den Todesstoß. Die Unbekannte ist ein überlanges Melodram, das kein Klischee auslässt, das wie nicht von entsprechenden TV-Spielen kennen.

Janne Hiller

La Sconosciuta I 2006. R & B: Giuseppe Tornatore K: Fabio Zamarion D: Xenia Rappoport, Michele Placido, Angelina Molina