Diplomatie

Reden über Leben

Warum der Befehl, Paris zu zerstören, nicht ausgeführt wurde. Eine Redeschlacht von Volker Schlöndorff

Adolf Hitlers Leben und Wirken ist reich an Größenwahnvorstellungen. Eine davon ist der Befehl zur Zerstörung von Paris, den der Führer ganz im Gestus eines römischen Tyrannen erteilte, als die alliierten Truppen unaufhaltsam herannahten.

Kann man sich eine Welt ohne Paris vorstellen? Ohne die Geschichte, die Kunstschätze, die Architekturdenkmäler, das Flair, das sich diese unvergleichliche Stadt über die Jahrhunderte erarbeitet hat? Sicherlich nicht. Und dennoch wäre all das um ein Haar in der Nacht vom 24. auf den 25. August 1944 zerstört worden. Die Brücken über der Seine, Notre-Dame, der Louvre, Sacré-Coeur, der Place de la Concorde, der Eiffelturm waren schon vermint und die Anordnungen aus dem Führerhauptquartier unmissverständlich.

Dass es Paris, so wie wir es heute kennen, noch gibt, ist das Ergebnis einer Befehlsverweigerung, von denen es in der Geschichte des Dritten Reiches nur sehr wenige gab. In seinem zeithistorischen Kammerspiel Diplomatie forscht Volker Schöndorff nun der Genese dieser Entscheidung nach, die der damalige Kommandierende General von Groß-Paris Dietrich von Choltitz zu verantworten hatte.

Dabei geht es hier nicht um einen einsamen Gewissenskonflikt, sondern um eine vielschichtige Debatte, die der Stadtkommandant in dieser Nacht mit dem schwedischen Generalkonsul geführt hat. Durch einen Geheimgang hat sich Raoul Nordling (André Dussollier) ins deutsche Hauptquartier im Hotel Meurice geschlichen, um von Choltnitz (Niels Arestrup) zum Umdenken zu bewegen. Aber der deutsche General ist fest entschlossen, den Befehl des Führers auszuführen, auch wenn er sich des Wahnsinns des Vorhabens voll bewusst ist. Von Choltnitz beruft sich auf sein militärisches Pflichtgefühl, zu dem das unhinterfragte Ausführen von Befehlen zwingend dazu gehört.

Mit dem Geschick eines versierten Diplomaten, der über reichhaltige Erfahrung zwischen den Fronten verfügt, verwickelt Nordling den Kommandanten in komplexe Debatten und legt dabei zunehmend die persönlichen Gewissenskonflikte seines Kontrahenten frei. Dabei appelliert er sowohl an allgemeingültige moralische Werte als auch an persönliche Vorteilsgewinne. Aber für den deutschen General steht nicht nur das militärische Selbstbild, sondern auch das Leben seiner Familie auf dem Spiel, der im Falle der Befehlsverweigerung die Hinrichtung droht.

Schlöndorff gelingt hier ein ungeheuer spannendes Dialog-Duell, in dem vor einer zugespitzten historischen Situation die Grundfragen des menschlichen Seins und moralischer Identität höchst differenziert erörtert werden. Interessant wird das Kammerspiel vor allem dadurch, dass die Karten nie offen auf dem Tisch liegen und man nicht weiß, wer hier wen letztendlich hinters Licht führt.

Martin Schwickert

F/D 2014 R: Volker Schlöndorff B: Volker Schlöndorff nach einem Theaterstück Cyril Gély D: Niels Arestrup, André Dussollier. 84 Min.