Disconnect

Zwei Welten

Wir sind vernetzt, aber nicht verbunden: Ein kluger, spannender Ensemblefilm über die neuen Medien und wie wir mit ihnen umgehen

Ein Paar, das seit dem Tod seines Kindes nicht mehr miteinander redet. Ein Vater, der auch zu Hause die Finger nicht vom Handy lassen kann. Ein Highschool-Nerd, der plötzlich auf seinem Handy von einem netten Mädchen angemacht wird - in Disconnect durchdringen virtuelles und reales Leben einander sehr organisch. Stilistisch und formal eng angelehnt an Paul Haggis' Crash hat Henry Alex Rubin in diesem Ensemblefilm mehrere Geschichten miteinander verwoben, in den kathartische Momente ohne die neue Netzkultur nicht denkbar wären: Der Nerd postet, heftig verliebt, ein Nacktfoto von sich an die vermeintliche neue Freundin - und findet sein Bild plötzlich überall wieder, denn die "Freundin" war ein Fake seiner Mitschüler.

Das schweigsame Paar entdeckt plötzlich, dass die gemeinsame Kreditkarte gesperrt und das Konto abgeräumt wurde. Wer von beiden sich in einsamen Reisen durch Chatrooms und Poker-Sites mit jenem Trojaner infiziert hat, der all ihre Daten einem Fremden zugänglich machte, ist nicht mehr zu klären. Als ihnen ein Privatermittler eine Adresse gibt, setzen sie sich ins Auto und wollen den Mann aufsuchen, der ihnen das angetan hat.

Der handysüchtige Papa ist eigentlich Anwalt und wird im Laufe des Films eine TV-Journalistin beraten müssen. Die hat sich, um endlich eine große Story zu landen, in eine Sexseite mit Minderjährigen eingeloggt und dort Kontakt zu Kyle aufgenommen, einem eher unbeschwert wirkenden netten jungen Mann, der sich für eine Reportage zur Verfügung stellt. Als Nina, die Journalistin, Kyle endlich kennenlernt, ist plötzlich alles ganz anders. Und nach der Reportage beginnt das FBI zu ermitteln.

Obwohl in Disconnect ständig Personen vor Laptops, Handys und PC sitzen, ist der Film kein abgefilmter Tipp-Kursus. Rubin hat eine sehr überzeugende optische Lösung dafür gefunden, uns das, was gerade geschrieben wird, sehen zu lassen und gleichzeitig den jeweiligen Schauspieler zu beobachten. Auch folgt Disconnect nicht der genreüblichen Dichotomie "Reale Welt - gut, Internet - böse!" sondern zeigt, wie untrennbar die neuen Medien mit unserem sozialen Alltag inzwischen verknüpft sind. So sehr Chats und Trojaner auch für Probleme sorgen - der elektronische Kontakt erlaubt auch Konfliktlösungen, die im direkten Gespräch kaum denkbar wären. Etwa wenn ein Vater meint, mit der Freundin seines Sohnes zu chatten, um mehr über sein Kind zu erfahren, und in Wahrheit auf der anderen Seite der Verbindung ein trauriger, einsamer Junge sitzt, der als "Jessica" offenbart, wie gerne er einen anderen Vater hätte.

Am Ende läuft jede der Geschichten auf eine sehr physische Problemlösung hinaus - und zeitgleich friert der Film für einen kurzen Moment diesen Augenblick der drohenden Eskalation ein.

Dass die Auflösung der verhandelten Probleme (fast) alles zum Guten wenden lässt, ist nur eine kleine Schwäche des Drehbuchs. In seiner ruhigen, strengen Art hat uns Disconnect bis zum Ende derart durchgeschüttelt, dass wir auch den glücklichen Zufall als Deus Ex Machina akzeptieren.

Die fragmentierte Erzählweise, mit der Rubin von Geschichte zu Geschichte springt und sie parallel erzählt, wird von einer dichten, sanft bedrohlichen Atmosphäre bestimmt. Sie führt allerdings auch dazu, dass die hervorragenden Schauspieler Jason Bateman, Hope Davis, Frank Grillo, Andrea Riseborough oder Max Thieriot unterfordert sind und nur wenige Szenen haben, um ihre Rolle zu entwickeln. Trotzdem ist Disconnect ein Film, den man so leicht nicht vergisst.

Thomas Friedrich

USA 2012 R: Henry Alex Rubin B: Andrew Stern K: Ken Seng D: Jason Bateman, Hope Davis, Frank Grillo, Michael Nyqvist, Paula Patton, Alexander Skarsgård, Max Thieriot. 115 Min.