MILLION DOLLAR BABY

White Trash
Ein melancholisches Boxer-Drama von Clint Eastwood

Clint Eastwood hat wahrscheinlich mehr über das Filmemachen vergessen, als viele andere Regisseure jemals gewusst haben. Mehr als 50 Filmrollen und 25 Trips auf den Regiestuhl hat der ehemalige Dirty Harry inzwischen hinter sich; im Gegensatz zu einigen seiner Zeitgenossen scheint der 75jährige jedoch mit jedem Jahr besser zu altern und umso mehr in der Lage, uns zu überraschen.
Million Dollar Baby scheint auf den ersten Blick wenig Neues zu bieten, handelt es sich hier doch um die Geschichte eines alternden Boxtrainers (Eastwood), der einer jungen Kellnerin (Hillary Swank) zu einem Titelkampf verhilft. Dass es sich hier aber gerade nicht um eine Mischung aus Rocky und Girlfight handelt, ahnt und spürt man von der ersten Minute an; was für ein Meisterwerk dieser Film tatsächlich ist, wird allerdings erst klar, wenn der Plot eine gewaltige Wendung genommen hat und auf die Zielgerade zusteuert.
Million Dollar Baby ist, wie viele von Eastwoods besseren Filmen, ein sparsames Werk, das sich gleichermaßen mit drei Menschen beschäftigt, von denen zwei sich ihrem Schicksal ergeben haben: sowohl Eastwoods Frankie Dunn als auch sein von Morgan Freeman gespielter Hausmeister, der Ex-Boxer Scrap, haben in ihrem Leben zu viele Schläge eingesteckt, um noch einmal in den Ring zu steigen, sei es der des Boxens oder der des Lebens. Scrap hat ein Auge verloren, Dunn eine Tochter - und vielleicht reagiert er gerade deshalb so widerwillig, als die junge Kellnerin Maggie ihn bittet, sie unter seine Fittiche zu nehmen. Maggie kommt aus einfachsten Verhältnissen, "white trash", wie der Amerikaner sagt, und sieht im Boxsport den einzigen Ausweg aus einem Leben, dass sich ansonsten zu einer Hälfte hinter dem Tresen und zur anderen im Wohnwagen abspielen würde. Sie ist ein Kämpfer, aber Eastwood weiß, dass Kämpfer auch verlieren können; und oft mehr als nur einen Titelkampf.
Nach Erbarmungslos und Mystic River hat Clint Eastwood mit Million Dollar Baby seinen dritten Anwärter auf die Liste der hundert besten Filme aller Zeiten geschaffen: einen Film über Menschen im Kampf gegen das Leben; über Würde im Angesicht erdrückender Ohnmacht und über den Schmerz, den die Liebe zwangsläufig mit sich bringt. Was in den Händen eines anderen Filmemachers zu Kitsch verkommen wäre, wurde dank Eastwoods sicherer Hand zu einem unprätentiösen, bewegenden Meisterwerk der leisen Töne hinter großen Emotionen.

Karsten Kastelan
USA 2004. Regie: Clint Eastwood. D: Clint Eastwood, Hillary Swank, Morgan Freeman, Jay Baruchel, Mike Colter, Lucia Rijker