GNADENLOS SCHÖN


Immer nur lächeln

Eine Stadt im kosmetischen Ausnahmezustand

Schönheitswettbewerbe sind fester Bestandteil amerikanischer Provinzkultur, das Barbie-Ideal regiert hier seit Jahrzehnten unangefochten. In seinem fiktiven Dokumentarfilm Gnadenlos schön begibt sich Regisseur Michael Patrick Jann ins schmucke Minnesota, wo schon die Coen-Brüder ihren schneeverwehten Provinzthriller Fargo ansiedelten. Der von einem Pharmakonzern gesponserte "Miss Teen America"-Wettbewerb versetzt die Kleinstadt Mount Rose in den kosmetischen Ausnahmezustand. "Wenn Du 17 und nicht völlig unattraktiv bist, dann machst Du da eben mit", gibt eine begeisterte High-School-Schülerin dem vermeintlichen Fernsehteam zu Protokoll. Wer nicht so ganz den Schönheitsidealen entspricht, versucht durch andere Tugenden zu überzeugen: Tierstimmen-Imitation, literarische Exkurse oder gymnastisches Darstellen von Zeichensprache.
Weniger kreativ geht es an der Wettbewerbsspitze zu. Hier herrscht blanker Beauty-Darwinismus, hinter dem allgegenwärtigen Prinzessinnen-Lächeln verbirgt sich so mancher Mordgedanke.
Als unangefochtene Favoritin gilt Becky Leeman (Denise Richards), deren Mutter (Kirstie Alley) schon Ende der 40er zur Teen-Queen gekrönt wurde. Becky, die verwöhnte Tochter aus gutem Hause, trainiert schon seit frühester Kindheit für den Schönheitswettbewerb und agiert außerdem als zweite Vorsitzende des örtlichen Schützenvereins. Konkurrentinnen werden dann auch schon einmal mit Waffengewalt aus dem Weg geräumt. Dem eiskalten Barbie-Terminator Becky tritt die ebenso mutige wie talentierte Amber Atkins (Kirsten Dunst) entgegen. Sie ist das Aschenputtel unter den Bewerberinnen und wohnt mit ihrer versoffenen Mutter (Ellen Barkin) in einer heruntergekommenen Wohnwagensiedlung am Rande der Stadt. Amber jobbt in der High-School-Kantine und als Kosmetikerin beim örtlichen Leichenbeschauer. Der Schönheitswettbewerb ist ihr Stück vom amerikanischen Traum. Nur knapp entgeht sie mehreren Mordanschlägen, und Leichen pflastern auch ihren Weg zum Erfolg.
Mit gnadenlosem Sarkasmus nimmt Regisseur Michael Patrick Jann in seinem Kinodebüt den Schönheitsterror und Wettbewerbswahn der amerikanischen Gesellschaft ins Visier. Dabei schreckt er vor keinerlei Geschmacklosigkeit zurück: Eine ehemalige Teen-Prinzessin wird von Magersucht zerfressen mit dem Rollstuhl auf die Bühne gerollt. Mord und Totschlag regieren hinter den Kulissen und nach einem Brandanschlag auf den heimischen Wohnwagen ist die Hand von Ambers Mutter fest mit der Bierdose verschweißt. Humor wird hier nicht fein mit dem Teelöffelchen dosiert, sondern in groben Schrotladungen verschossen. Das Konzept kommt aus US-TV-Shows wie "South Park" und "American Pie", die dem prüden Amerika mit provokativen Comedy-Rezepten zu Leibe rücken. Drehbuchautorin Lona Williams zählt selbst zu den Überlebenden eines Schönheitswettbewerbs, und wahrscheinlich ist ihr rabenschwarzer Humor die einzig wirksame Waffe gegen das ewige Lächeln der Beauty-Queens. Weniger passend hingegen ist der pseudo-dokumentarische Stil.
Die ewig wackelnde Handkamera nervt schon nach wenigen Minuten und nimmt der Geschichte den notwendigen Drive. Als bonbon-farbenes Musical wäre der Aufstand der Barbies sicherlich besser zur Geltung gekommen.

Martin Schwickert