DUELL - ENEMY AT THE GATES

Finger am Abzug

Irgendwie mutig: eine Massenschlacht auf das Duell zweier Scharfschützen zu reduzieren

Krieg und Kino sind ein Widerspruch in sich. Im Krieg zählt ein einzelnes Menschenleben nichts. Kino hingegen lebt von Einzelschicksalen, die überlebensgroß auf die Leinwand projiziert werden. Deshalb wird in Kriegsfilmen die große Weltgeschichte individualisiert. Stalingrad ist große Geschichte. Die wichtigste und verlustreichste Schlacht des Zweiten Weltkriegs. Das Ende von Hitlers Endsiegfantasien. Trauma und Mythos des blutigen 20.Jahrhunderts. In Duell - Enemy at the Gates reduziert Jean-Jacques Annaud (Im Namen der Rose) die monströse Konfrontation der Weltsysteme auf das Duell zweier Scharfschützen.
Aus dem hintersten Ural wird der sowjetische Bauernsohn Vassili (Jude Law) in die Schlacht um Stalingrad geworfen. Schon die Bootsfahrt über die kilometerbreite Wolga zwischen Artilleriefeuer und Stuka-Angriffen wird für viele zur tödlichen Feuerprobe. Die Rekruten werden in den Kugelhagel der Deutschen hineingetrieben, wer flüchtet, wird von den eigenen Offizieren erschossen. Eine Viertelstunde lang zieht Annaud alle Register, zeichnet ein blutiges Panorama, um die Sicht fortan auf ruhige Nahaufnahmen zu verlagern.
Vassili ist ein begnadeter Schütze. Polit-Offizier Danilov (Ralph Fiennes) macht aus ihm einen Held. Propagandaflugblätter zählen täglich seine Abschüsse, sein Foto ziert die Titelseite der Prawda. Vassili wird zur Legende, und die Deutschen schicken ihren besten Scharfschützen Major König (Ed Harris) gegen ihn ins Feld. Während um sie herum die Jahrhundertschlacht tobt, belauern die Kontrahenten einander mit konzentrierter Ruhe.
Deutsche und Russen gehörten jahrzehntelang zu den Hauptfeindbildlieferanten Hollywoods. Dass eine internationale Produktion mit starker US-Beteiligung halbwegs ideologiefrei vom Zweiten Weltkrieg aus sowjetischer Sicht erzählt, wäre vor 10 Jahren noch nicht möglich gewesen. Regisseur Jean-Jacques Annaud verweigert sich den altbewährten Feindbildern ebenso wie den opulenten Blutorgien. Stattdessen konzentriert er sich auf die fast schon meditative Ästhetik des Scharfschützentums. Immer wieder Großaufnahmen auf den ruhigen Finger am Abzug und die flackernden Pupillen vor dem Zielfernrohr. Durch die extreme Nahaufnahme verschwimmen die Konturen des Krieges allerdings bis zur Unkenntlichkeit. Die Leichenberge von Stalingrad werden zur morbiden Kulisse für einen durchaus spannenden, aber allzu klassischen Kinozweikampf. Mit Duell - Enemy at the Gates hat Jean-Jacques Annaud Stalingrad konsequent enthistorisiert, banalisiert und in ein leichtverdauliches Weltmarktprodukt verwandelt. Der Feindbild-Ästhetik des Kalten Krieges wird die politische Beliebigkeit des 21. Jahrhunderts entgegengesetzt.

Martin Schwickert

D 2000. R&B: Jean-Jacques Annaud. K: Robert Fraisse. D: Jude Law, Joseph Fiennes, Rachel Weisz, Bob Hoskins