Eine Dame in Paris

Trio mit Geschichte

Jeanne Moreau als Frau mit Vergangenheit

Man sieht solche Gesichter auf der Straße oder in der U-Bahn, aber viel zu selten im Kino. Gesichter, in denen das Leben seine Spuren hinterlassen hat und das Alter unverfälscht erkennbar ist. Jeanne Moreau hat so ein Gesicht und man möchte es stundenlang ansehen. Die Runzeln und Falten, die sie ohne Reue trägt, und dazwischen die wachen, braunen Augen und der unverwechselbare, leichte Schmollmund. Mit ihren 85 Jahren ist die Moreau eine Schönheit, die sich der Perfektion verweigert und gerade daraus ihre Strahlkraft bezieht.

In Ilmar Raags Eine Dame in Paris spielt sie Frida, die in jungen Jahren aus Estland nach Paris gekommen ist und dort ein wildes, freies Leben gelebt hat. Davon ist heute nur noch Stéphane (Patrick Pineau) übrig geblieben, ihr ehemaliger, deutlich jüngerer Geliebter, der nun Anne (Laine Mägi) engagiert hat, damit sie sich um die alte Dame kümmert.

Anne ist ebenfalls aus Estland und war noch nie zuvor in Paris. Schon am ersten Tag wird sie von Frida gekündigt. Sie brauche keine Haushälterin und komme sehr gut allein zurecht, sagt sie und fordert den Schlüssel vom Medikamentenschrank zurück, der seit ihrem Selbstmordversuch verschlossen bleibt. Anne will angesichts der garstigen Kundschaft aufgeben, aber Stéphane überredet sie, zu bleiben.

Er will sich lösen von Frida, die ihn nicht loslassen will und ihm das Café, das er betreibt, gekauft hat. Obwohl Anne Stéphane nicht ersetzen kann, freunden sich die beiden Frauen langsam miteinander an.

Eine ungleichgewichtige Ménage à trois stellt der estländische Regisseur Ilmar Raag ins Zentrum seines Kinodebüts, in dem unaufdringlich über Alter, Herkunft und die Spuren des gelebten Lebens reflektiert wird. Jeanne Moreau ist ideal besetzt in der Rolle der kapriziösen Dame, die ihr eigensinniges, unkonventionelles Leben im Alter mit Einsamkeit bezahlen muss, jedoch schließlich den Kampf gegen die eigene Verbitterung aufnimmt.

Aber auch die estländische Schauspielerin Laine Mägi ist eine Entdeckung für das europäische Kino. Mit konzentrierter Zurückhaltung spielt sie diese nicht mehr junge Frau, die ihrem trostlosen Dasein im Baltikum entflieht und in Paris das eigene Leben neu justiert. Es sind diese beiden Gesichter, die den Film tragen, weil es in ihnen so sehr viel mehr zu lesen gibt, als gesagt werden kann.

Hier treffen die ganz und gar ungeschwätzigen Erzähltraditionen Nordeuropas, wie sie etwa der finnische Regisseur Aki Kaurismäki vertritt, auf den schwerelosen Charme des französischen Kinos. Herausgekommen ist dabei ein Film von spröder Schönheit, der dem Prozess des Alterns mit melancholischer Faszination begegnet.

Martin Schwickert

Estoinne à Paris F/B/Est 2012 R: Ilmar Raag B: Ilmar Raag, Agnès Feuvre, Lise Macheboeuf K: Laurent Brunet D: Jeanne Moreau, Laine Mägi, Patrick Pineau