EGGS


Stufen zählen

Wie ein Norweger die Welt sieht

Die Nordländer sind kauzig, eigenbrötlerisch und wortkarg. Das weiß der hiesige Filmfreund spätestens seit Aki Kaurismäki das skandinavische Kino auch in den südlichen Teilen Europas wieder salonfähig gemacht hat.
Daß dies eine ziemlich platte Charakterisierung ist, übersieht man bei Kaurismäki gerne, selbst wenn daraus in unseren Köpfen vorgefertigte Bilder entstehen, die uns glauben lassen, daß es dort in Stadt-Land-Fjord überall gleich aussieht, insbesondere weil sich jeder andere ambitionierte, nordische Regisseur ungeniert der Stilmittel des Finnen bedient: Lustig muß es zugehen, aber auch ein wenig sozialkritisch, Hauptsache es bleibt skurril, man will die Erwartungen der ohnehin dünngesäten, internationalen Fangemeinde schließlich nicht enttäuschen.
Dies alles trifft auch auf Bent Hamers Eggs zu, und dementsprechend kann er uns dabei absolut nicht mehr erzählen, als wir ohnehin schon wissen.
Moe und Far sind zwei greise Brüder, die abgeschieden irgendwo im verschneiten Norwegen leben. Hamer setzt im ersten Drittel seines Films nur auf die Schrulligkeit dieser alten Herren. Den ganzen lieben Tag lang werfen sie sich gegenseitig ihre Unfähigkeit vor, sitzen auf den Sofa oder dem Klo, starren aus dem Fenster oder liegen im Bett und lösen Kreuzworträtsel oder hören Radio, welches neben dem Telefon und den seltenen Besuchen der Lebensmittellieferanten und einer Putzfrau den Kontakt zur Außenwelt herstellt.
Daß diese für ihr Leben im Mikrokosmos eher schädlich ist, bekommen die beiden zu spüren, als sie plötzlich mit Fars unehelichen Sohn Konrad konfrontiert werden, den Far vor dreißig Jahren bei seinem einzigen Ausflug nach Schweden gezeugt hat. Nachdem man sich bisher über alte Leute amüsieren sollte, läßt sich Hamer nun an dem behinderten Sohn aus. Dieser wirkt mit gelber Strickjacke und roter Krawatte absolut lächerlich, glotzt wie Fester aus der Addams Family und sortiert fleißig die Eier in seinem Setzkasten. Die Toleranzgrenze wird schließlich endgültig überschritten, als er auch noch Laute wie ein Federtier von sich gibt. Während sich die drei Verwandten bei der Fleischbeschau der Putzfrau noch prächtig verstehen, merkt doch bald jeder, daß hier einer zuviel im Haus ist.
Das inhaltliche Nichts, das scheinbar den Blick auf zwei gesellschaftlich vernachläßigte Gruppen freihalten soll, will Bent Hamer offenbar, unter Verwendung der oben erwähnten Versatzstücke, mit einigen stilistischen Ideen kaschieren. Es ist ja schön, wenn er mit seinem gemächlichen Erzählrhythmus eine Alternative zu anderen, immer schneller und lauter werdenden Filmen bieten möchte, doch wird dabei deutlich zu lange demonstriert, wie öde der Alltag von Moe und Far ist. So langweilt Hamer mit immer derselben ausgedehnten Einstellung der Treppe im Hausflur, was uns die Möglichkeit bietet, deren Stufen mehrmals zu zählen, nur um sicher zugehen, daß wir keine übersehen haben. Oder will Hamer damit die Geduld des Zuschauers strapazieren und eine Parallele zu den sich annervenden Brüder ziehen? Wäre diese Frage hier wirklich von Bedeutung, würde ich sie beantworten

Dirk Steinkühler