ELLEN CALLING

Flämische Apokalypse
Tragische Schicksale im Minutentakt

Fünf Menschen verlieren das, was ihnen am wichtigsten ist. Der Konzertpianistin Anna (Axelle Red) werden bei einem Überfall alle Finger zertrümmert, als sie ihre neue Komposition vor der Autodiebin retten will. Der hippe DJ Cosmonaut X (Matthias Schoenaerts) verliert sein Gehör bei einem Tauchunfall. Der Parfumeur Harry (Han Kerckhoffs) bekommt bei einem Ehekrach eins auf die Nase und kann danach nicht mehr riechen. Der junge Ludovic (Lucas van Ammel) muss von seinen Pilotenträumen Abschied nehmen, als er nach einem Unfall an den Rollstuhl gefesselt bleibt, und die Stripperin Cynthia (Marie Bos) kann ihre Schauspielkarriere vergessen, nachdem der Zuhälter ihr die Zunge abgeschnitten hat.
Sam (Gert Portael) hat schon längst verloren, was ihr am teuersten war. Seit ihre Tochter bei einem Verkehrsunfall umgekommen ist, wird die drogenabhängige Journalistin von Selbstmordgedanken verfolgt. Ein finsterer Unterweltboss heuert die versierte Rechercheurin an, um seine Tochter zu finden, die sich in besetzten Häusern vor ihrem Vater versteckt hält. Ellen (Katherine Kools) schneidet all die Zeitungsmeldungen aus, die vom tragischen Los oben genannter Menschen berichten, verspricht ihnen via SMS baldigen Seelentrost und beginnt aktiv in deren Schicksal einzugreifen.
Mit Ellen Calling versucht der belgische Regisseur Rudolf Mestdagh eine Version von Magnolia in Flandernland zu drehen und scheitert dabei auf allen Ebenen. Keine der Figuren ist auch nur halbwegs glaubwürdig charakterisiert, und die Milieus, in denen sie sich bewegen, sind bis an die Grenze zur Lächerlichkeit und darüber hinaus ins Klischee verzerrt. Der Mafiaboss sammelt menschliche Organe in Formalin. Die Hausbesetzer gieren zitternd nach dem nächsten Schuss, und die Technomieze wirft sich, nachdem ihr Freund das Gehör verloren hat, gleich dem nächsten DJ an den Hals. Mestdagh taucht seine Bilder in flämisch-apokalyptischen Dauerregen und versucht ebenso verzweifelt wie vergeblich, ein wenig Neo-Noir-Atmosphäre zu injizieren. Auch der rasante Schnitt kann die dröhnende Leere der Schicksalsmühlengeschichte nur unvollständig kaschieren, die sich nach einem gestelzten Massen-Happy-End schließlich vollständig im Nirwana filmischen Vergessens auflöst.

Martin Schwickert
Ellektra B 2004 R&B: Rudolf Metsdagh K: Danny Elsen D: Axelle Red, Gert Portael, Marie Bos