THE DEEP END

Tot im See
Tilda Swinton als Familienmanagerin vertuscht einen Mord

Die klare Spätherbstsonne liegt über dem See. Am Ufer frisch gestrichene Holzhäuser mit Bootsstegen und großzügigen Gärten. Eine blaukalte Idylle und eine sichere Wohngegend für Margaret (Tilda Swinton) und ihre drei Kinder. Die sündige Spielerstadt Reno ist nur wenige Autostunden entfernt. Ebenda steht Margaret zu Beginn des Films im grellen Mittagslicht und klopft an der Tür einer Schwulenbar. Ihr 17jähriger Sohn Beau (Jonathan Tucker) verkehrt dort neuerdings mit dem undurchsichtigen Barbesitzer Darby (Josh Lucas), und Margaret ist hier, um dies zu unterbinden. Die mütterliche Mission scheitert, am nächsten Morgen liegt der Lover ihres Sohnes tot hinterm Haus am See. Margaret denkt, dass Beau ihn getötet hat und versenkt die Leiche weit draußen im klaren, kalten Wasser.
Die Mutter und Hausfrau ist es gewohnt, alleine zu entscheiden. Ihr Mann kreuzt als Navy-Offizier unerreichbar auf einem Flugzeugträger im Atlantik. Wort- und spurlos vertuscht sie den Mord und nimmt die Familienroutine wieder auf. Wenig später steht ein Unbekannter vor der Tür und möchte für ein Video, auf dem ihr Sohn und der Verstorbene in unzweideutigen Positionen zu sehen sind, 50.000 Dollar kassieren. So sehr sich Margaret auch anstrengt, es gelingt ihr nicht, die Summe zusammen zu bekommen. Der Erpresser (Goran Visnjic) verlängert sein Ultimatum und fühlt sich immer deutlicher zu Margaret hingezogen.
The Deep End basiert auf einem Roman von Elisabeth Sanxay Holding und wurde bereits 1949 von Max Ophüls unter dem holprigen deutschen Titel Schweigegeld für Liebesbriefe verfilmt. Die Filmemacher Scott McGehee und Don Siegel haben den Noir-Klassiker zu einem modernen, filigranen Thriller umgearbeitet, der seine nachhaltige Spannung aus dem Dialog der Gegensätze bezieht. In kühlen stilisierten Bildern präsentiert sich der melodramatische Stoff. Gut und Böse überlagern sich, und der Krimiplot verwächst zunehmend mit einer subtilen Liebesgeschichte.
Konsequent wurden die Rollen gegen den Strich besetzt. Tilda Swinton (Orlando) spielt die amerikanische Mutter jenseits aller Gluckenklischees als verantwortungsbewusste Familienmanagerin. Ihr Gesicht ist das magische Zentrum des Films, der Integrität ihrer Figur kann sich niemand entziehen. Weder die Zuschauer noch der Erpresser. Nicht Mitleid, sondern Respekt empfindet er für sie, und Respekt bestimmt auch die Haltung der Filmemacher zu ihren Figuren. Gefühle und Stimmungen werden nicht zwanghaft ausformuliert. Jede Figur hat ihre Geheimnisse, und nur der Zuschauer kann sich die ganze Wahrheit zusammenaddieren. In der Ruhe liegt die Kraft dieses stilsicheren Thrillers, in dem die Spannung nicht aus der Mechanik des Plots, sondern aus der Tiefe der Charaktere entsteht.

Martin Schwickert
USA 2001 R&B: Don Siegel und David Siegel nach dem Roman The Blank Wall von Elisabeth Sanxay Holding K: Giles Nuttgens D: Tilda Swinton, Goran Visnjic, Jonathan Tucker