DIE ENTBEHRLICHEN

Hartz 4- Geschichten

Eine deutsche Familie verendet an Schnaps und Sozialabbau

Das Klima ist ungemütlich in Andreas Arnstedts Familiendrama. Es ist kurz vor Weihnachten, aber nur schmutziges Licht fällt auf das Leben von Familie Weiss, irgendwo in Berlin. Und gleich im ersten Bild hackt Jürgen Weiss verzweifelt mit der Axt auf eine Litfaßsäule ein. An der hängt ein Plakat mit Gerhard Schröder-Kopf und der Aufschrift "Agenda 2080".

Dann hockt Vater Weiss mit seinem Sohn Jacob im vergleichsweise festlichen Wohnzimmer zwischen alten Möbeln und leeren Flaschen. Das Geld für die Klassenfahrt, gerade erst von der Oma erschnorrt, ist für Schnaps und Kekse draufgegangen, aber irgendwie liebt man sich doch. Es riecht nach Sozialromantik am unteren Gesellschaftsrand.

Schließlich lernen wir auch Mutter Weiss kennen, die zwischen kaputter Kochplatte und handgreiflichem Mann noch einen Rest von Normalität zu erhalten versucht. Und wir erkennen Arnstedts clevere Konstruktion, den Film auf zwei Ebenen zu erzählen.

Silke Weiss nämlich liegt verletzt in einem Krankenhaus, Jürgen Weiss liegt tot im vorweihnachtlichen Wohnzimmer, und Jacob Weiss verschweigt die Leiche, damit das Jugendamt ihn nicht holt. Das ist die "wahre Begebenheit", nach der Arnstedt sein Drehbuch schrieb.

Das lebt vor allem davon, in die letzten Tage der Vortäuschung stabiler Verhältnisse Rückblenden einzubauen, die erzählen, wie alles so schrecklich schief gehen konnte. Da streifen die Episoden sicher ein paar Krisenherde zu viel (Gammelfleisch, Rechtsextremismus, Mietspekulanten, korrupte Wohlstandsbürger), decken aber auch Seiten vor allem an den Eltern Weiss auf, die unsere Vorurteile gegenüber haltlosen Alkoholikern ein ums andere mal brechen.

André M. Hennicke als Jürgen Weiss sorgt mit seinem Schauspiel dafür, dass das Sozialdrama bei aller Cleverness in der Konstruktion, die geschickt Löcher im Buch ausblendet, Bodenhaftung erhält. Ihm schaut man gerne zu, auch wenn ihn sein Regisseur mal minutenlang allein läßt. Und er steht so sehr zu diesem Film, dass er wütend seinen Austritt aus der Deutschen Filmakademie erklärte, als die ihn ohne Ansehen nicht zum Deutschen Filmpreis zuließ.

Wing

D 2010. R + B: Andreas Arnstedt K: Patricia Lewandowska D: André M. Hennicke, Steffi Kühnert, Oskar Bökelmann, Mathieu Carriére