ERIN BROCKOVICH


Einen Oscar für die Fummel!

Julia Roberts als gewitztes Proll-Mädel

Sie ist jung. Sie ist schön. Sie hat 3 Kinder von mindestens 2 Männern, Kakerlaken in der Küche, keine Ausbildung und nur noch 74 Dollar auf dem Konto. Erin Brockovich (Julia Roberts) hat seit ihrer Wahl zur "Miss Wichita" vor mehr als zehn Jahren so ziemlich alles falsch gemacht, was frau so falsch machen kann. Ein Autounfall bescheren der gestressten Mutter dann auch noch Schleudertrauma und Halskrause. Den Gerichtsprozess verliert sie natürlich, aber immerhin gelingt es Erin, in der Kanzlei ihres Anwalts (Albert Finney) einen Job als Bürohilfe zu ergattern. Zufällig stößt sie bei Recherchen auf Akten, die auf einen gigantischen Umweltskandal hinweisen und schließlich zum größten zivilen Schadensersatzprozess in der Geschichte der USA führen.
Not und Leid alleinerziehender Mütter sind im Hollywood-Kino oft Gegenstand rührseeliger Abhandlungen, die zumeist damit enden, dass der Mann fürs Leben die Szenerie betritt. Steven Soderberghs Erin Brockovich kommt mit weniger Weichspüler aus, und die Rettung bringt hier nicht die große Liebe, sondern beruflicher Erfolg. Nachdem in den letzten Jahren Julia Roberts monströses Zahnpastalächeln ausgiebig in zahnlosen romantischen Komödien vermarktet wurde, bringt Regisseur Soderbergh (Out of Sight, The Limey) in seiner ersten Mainstreamproduktion wieder die schauspielerischen Fähigkeiten des millionenteuren Stars zum Vorschein. Als nassforsche Rechtsanwaltsgehilfin und pragmatische Dreifachmutter stakst Julia Roberts beherzt durch das US-Justizsystem und bietet ein erfrischendes Gegenbild zu den all den braven Idealmüttern des Hollywoodbetriebs. Allein für die Begutachtung ihrer Garderobe lohnt sich der Kinobesuch. Die schreienden Kombinationen aus knappen Stretchröcken, enganliegenden Leggings, enorm dekolletierten Oberteilen und unglaublichen Stütz-Bustiers hätten eigentlich eine Oscar-Nominierung verdient.
Eher nebenbei ist Erin Brockovich auch ein Justizfilm, der basierend auf einem tatsächlichen Fall den erfolgreichen Kampf der kleinen Leute gegen einen übermächtigen Konzern beschreibt. Auf langweilige Court-Room-Szenen allerdings verzichtet Soderbergh gänzlich, und überhaupt dient die ganze politische und moralische Dimension nur dazu, die Heldin in ihren Stöckelschuhen besser zur Geltung zu bringen. Schauspielerisches Gegengewicht zu Julia Roberts ist der großartige Albert Finney in der Rolle des ruhebedürftigen Alt-Anwalts, in dem der Kampfgeist vergangener Tage widerstrebend geweckt wird. Zusammen ergeben die beiden das beste Hass-Liebe-Paar, das seit Katharine Hepburn und Spencer Tracy zu sehen war.

Martin Schwickert