X-Men: Erste Entscheidung

Loud & Proud

Von den Nazis bis zur Kuba-Krise: Das Mutanten-Sequel schafft interessante Querverbindungen

Abriss oder Rundumerneuerung - vor dieser Entscheidung standen die Produzenten von X-Men. Zwar hatten die Verfilmungen des Marvel-Comics weltweit über 1,5 Milliarden Dollar eingespielt, aber die Materialermüdung war nach vier Sequels nicht zu übersehen. Nun spult Regisseur Matthew Vaughn (Kick Ass) noch einmal alles auf Anfang und geht mit einem vollkommen neuen Ensemble zurück zu den Wurzeln des Kampfes der Mutanten um Gerechtigkeit und Anerkennung. X-Men: Erste Entscheidung beginnt, wie schon Bryan Singers erster Film der Comicverfilmung, 1944 in einem Konzentrationslager in Polen. Der junge Erik, der mit purer Willenskraft Metall im großen Stil bewegen kann und später als Magneto Karriere machen wird, muss mit ansehen, wie der Lagerarzt und Genforscher Dr. Schmidt (Kevin Bacon) Eriks Mutter kaltblütig erschießt. Knapp zwanzig Jahre später ist aus dem traumatisierten Jungen ein besessener Nazi-Jäger (Michael Fassbender) geworden, der alles daran setzt, den Mord an seiner Mutter zu rächen. Gleichzeitig entdeckt der amerikanische Geheimdienst die Existenz der Mutanten, versucht, deren übernatürliche Fähigkeiten in einer Spezialeinheit zu bündeln und im Kalten Krieg gegen den Kommunismus für sich nutzbar zu machen.

Der junge, smarte Professor Charles (James McAvoy) glaubt fest an die friedliche Koexistenz zwischen Mensch und Mutant, schart die Gruppe der illustren Abnormen um sich und lehrt sie, ihre Fähigkeiten zu effektivieren. Derweil versucht der frühere KZ-Arzt, der nun unter dem Namen Sebastian Shaw sein eigenes Mutantenheer rekrutiert, die hochgerüsteten Großmächte gegeneinander auszuspielen. Vor Kuba findet 1962 der finale Showdown statt.

Wer glaubt Kennedy und Chruschtschow hätten damals den dritten Weltkrieg verhindert, wird eines Besseren belehrt. Die durchaus gewagte Kombination von Fantasy und realer Historie funktioniert bestens. Schließlich gehört das Kräftemessen der Supermächte in der Karibik rückblickend zu den grotesken Momenten des Kalten Krieges und bietet sich zur comicartigen Überzeichnung förmlich an. Außerdem sind die X-Men schon immer fest mit der Zeitgeschichte der sechziger Jahre verbunden gewesen. Der Kampf der Mutanten um Selbstwertgefühl und Anerkennung ("Mutant and proud!") reflektierte nicht nur die pubertäre Identitätssuche des jugendlichen Zielpublikums, sondern auch die Emanzipationsbewegungen der wilden Sechziger.

In dem Streit zwischen dem moderaten Mutantenführer Charles und dem verbitterten Radikalen Erik spiegeln sich die Richtungskämpfe der schwarzen Bürgerrechtsbewegung zwischen Martin Luther King und Malcolm X. Wenn die Mutanten sich zum ersten Mal treffen und einander ihre Anomalien vorführen, feiern sie ähnlich wie die damalige Schwulenbewegung ihr gemeinsames Coming Out.

Auch ästhetisch verneigt sich Vaughn vor den Sixties, indem er auf die frühen James-Bond-Filme Bezug nimmt und einen Bösewicht kreiert, der es mit Gert Fröbes "Goldfinger" durchaus aufnehmen kann. Das nostalgische Setting verbindet sich organisch mit den Ansprüchen des modernen Actionkinos, das hier seine Effekte pointiert einsetzt, ohne die hochdramatischen Konflikte im Technikgewitter zu ertränken.

Hierfür hat sich Vaughn ein exzellentes Ensemble zusammengestellt. Michael Fassbender ist einfach großartig als tragischer Held, James McAvoy in der Rolle des jungen Professors ein echtes Energiebündel, Jennifer Lawrence mit und ohne Mutation sowieso sehenswert, January Jones als Emma Frost ausgesprochen betörend und Kevin Bacon in der Schurkenrolle so fies wie nie zuvor.

Mit X-Men: Erste Entscheidung ist Vaughn ein starkes, spannendes und intelligentes Relaunch gelungen, das tatsächlich Lust auf weitere filmische Mutationen des Comic-Stoffes macht.

Martin Schwickert

X-Men: First Class. USA 2011 R: Matthew Vaughn B: Ashley Edward Miller, Zack Stentz, Jane Goldman, Matthew Vaughn K: John Mathieson D: James McAvoy, Michael Fassbender, Kevin Bacon, January Jones