DIE EWIGKEIT UND EIN TAG


Stirb langsam

Theo Angelopoulos inszeniert mal wieder in Zeitlupe

Der Schriftsteller Alexander (Bruno Ganz) ist am Ende angelangt. Die Schmerzen sind selbst durch die Medikamente nicht mehr zu bändigen. Morgen wird er ins Krankenhaus gehen, er weiß, daß er nicht wieder in seine Wohnung am Hafen zurückkehren wird. Er findet einen Brief seiner Frau, den sie vor 30 Jahren an einem Sommertag am Meer geschrieben hat, und läßt die Vergangenheit noch einmal Revue passieren. Der berühmte Autor hatte sich nur seinen Büchern verschrieben, während das wirkliche Leben an ihm vorbeizog. Er ging viel auf Reisen und ließ die Frau zurück, die ihn liebte. Erst als Anna zu früh starb, machte er sich seine Liebe bewußt und fiel in ein tiefe Schaffenskrise.
In seinem letzten Film Der Blick des Odysseus schickte der griechische Regisseur Theo Angelopoulos einen Cineasten in den kriegerischen Konflikt im Balkan. Auch in Die Ewigkeit und ein Tag bringt Angelopoulos die Figur des kriselnden Intellektuellen in Reibung mit den unbarmherzigen politischen Realitäten dieser Region. Auf den Straßen des winterkalten Thessaloniki trifft Alexander auf einen jungen albanischen Flüchtling. In dem einsamen Jungen, der als Illegaler nahezu chancenlos einer ungewissen Zukunft entgegen sieht, spiegelt sich das Schicksal des Schriftstellers, der auf sein sicheres Ende hinsteuert und alle Lebenschancen vertan hat. Alexander rettet das schweigsame Kind vor der Polizei und vor Kinderhändlern. Unverhofft schleicht sich so etwas wie Sinn in sein Restleben ein. Er versucht den Jungen wieder nach Hause zu bringen, aber die Reise endet an der albanischen Grenze.
Theo Angelopoulos, der für diesen Film in Cannes die "Goldene Palme" erhalten hat, sinniert über die innere und äußere Heimatlosigkeit in langen Kamerafahrten und poetisch inszenierten Bildern (Kamera: Yorgos Arvanitis). Landschaften versinken im Nebel, an der Grenze zu Albanien klammern sich die Flüchtlinge wie Fledermäuse in den monströsen Zaun, die Straßen sind grau und unwirtlich, die Erinnerungen hingegen erstrahlen im Sonnenlicht. Dabei überlappen und durchdringen sich die Zeitebenen. Ohne Schnitt gleitet der Film in einer Kamerafahrt von der Gegenwart ins 19.Jahrhundert. Mit seinem verbissenem Willen zum Kunstkino steht sich Angelopoulos jedoch auch oft selbst im Wege. Auch wenn Bruno Ganz den sterbenskranken Griechen überraschend überzeugend mimt, verliert das Schicksal des kriselnden Mannsbildes trotz aller erlesener Bildqualität schon bald an Faszinationskraft. Nicht jeder Kameraschwenk ist es Wert, in Zeitlupe vollzogen zu werden, die immergleichen Mollakkorde aus dem Off ermüden auf Dauer, und im letzten Drittel verpaßt der Regisseur mehr als eine Chance, den Film zu einem würdigen Ende zu bringen.

Martin Schwickert