EXIT MARRAKECH

Somewhere

Die Wüste als Ort der Selbstfindung

Zwölf Jahre nach ihrem Oscar-Erfolg Nirgendwo in Afrika kehrt Caroline Link jetzt zurück auf den afrikanischen Kontinent. Ben (Samuel Schneider) ist 17, seine Eltern sind schon seit vielen Jahren geschieden. Während seine Mitschüler aus dem Internat die Ferien in Nizza am Strand verbringen, soll Ben zu seinem Vater Heinrich (Ulrich Tukur) nach Marrakesch, wo der gefeierte Regisseur im Rahmen eines internationalen Theaterfestivals seine Inszenierung von Lessings "Emilia Galotti" vorführt.

"Erlebe was!" hat der Direktor (Joseph Bierbichler) zu Ben gesagt, aber was soll man mit diesem Vater schon erleben, der sich ohnehin nie um den Sohn gekümmert hat und sich am Hotelpool in der eigenen Selbstgefälligkeit sonnt? Ben nimmt sein Skateboard und rollt hinaus in die Stadt. In einem Club lernt er Karima (Hafsia Herzi) kennen, die sich als Prostituierte an Touristen verkauft. Dass der junge Deutsche mit der Zahnspange nicht mit ihr, sondern neben ihr schlafen will, rührt sie ein wenig. Als sie zu ihren Eltern nach Hause will, lässt sich Ben nicht abschütteln und fährt mit ihr in das kleine Bergdorf, während Heinrich sich vielleicht zum ersten Mal um seinen Sohn zu sorgen beginnt.

Auf den ersten, flüchtigen Blick sind in Caroline Links Exit Marrakech die bekannten Klischees versammelt: Der Rabenvater und das Scheidungskind, die zueinander finden müssen. Die fremde Kultur, die als emotionaler Katalysator in Gebrauch genommen wird. Die geheimnisvolle Prostituierte, die dem Reisenden den Kopf verdreht. Die monotone Schönheit der Wüste als Ort der Selbstreflexion. Aber Link sucht und findet ihren eigenen Umgang mit den erzählerischen und visuellen Klischees.

Das Marrakesch, das sie in ihrem Film zeigt, ist kein geheimnisvolles Märchenland mehr, sondern eine Stadt, die auf den Ansturm des Massentourismus gefasst ist. Die Dünen der Wüste fährt Ben mit Skiern herunter, anstatt die kontemplative Ruhe der Landschaft zu genießen. Den zerrütteten deutschen Familienverhältnissen werden die festen marokkanischen Verwandtschaftsstrukturen gegenüber gestellt.

Dass Ben und sein Vater in der Fremde die Fremdheit, die sie füreinander empfinden, zu überwinden beginnen - davon erzählt Exit Marrakech auf eine überraschend unsentimentale Weise. Anfangs wird die intellektuell abgeklärte Attitüde des Vaters dem pubertären Erlebnisdurst des Sohnes etwas plakativ gegenüber gestellt, aber in der Annäherung der beiden Figuren setzt Link nicht auf Schuldvorwürfe und Katharsis. Auch wenn Heinrich sein väterliches Verantwortungsgefühl entdeckt, steht er ohne sichtbare Reue zu seinem egoistischen Lebenswandel.

Am Schluss fallen sich Vater und Sohn nicht in die Arme, sondern schauen sich über den Strand hinweg gegenseitig an und scheinen sich aus großer Distanz heraus zum ersten Mal wirklich zu erkennen.

Martin Schwickert

D 2013 R & B: Charlotte Link K: Bella Halben D: Samuel Schneider, Ulrich Tukur, Hafsia Herzi