DAS EXPERIMENT

Hinter Gittern

Knackis für die Wissenschaft

TV-Regisseur Oliver Hirschbiegel hat - der Romanvorlage von Mario Giordano folgend - in seinem Kinodebüt das sogenannten Stanford-Prison-Experiment aus dem Jahre 1971 fiktional bearbeitet. Zwanzig Männer sind dem Ruf einer Zeitungsannonce gefolgt, die 4000,- DM verspricht für einen vierzehntägigen Versuch in einem Scheingefängnis. Vom Elvis-Imitator über den Flughafenangestellten bis zum Imbissbüdchenbesitzer ist alles vertreten.

Man freut sich auf das leicht verdiente Sümmchen und findet sich in einem künstlichen Gefängnistrakt im Keller der Universität wieder. Es wird gelost. Die Wärter bekommen eine schicke Uniform und eine Handvoll Anweisungen. Die anderen müssen erst einmal nackt unter die Dusche und werden als Gefangene ohne Unterwäsche in Leinenkittel und Badelatschen gesteckt. Die Aufseher geben ein paar laxe Kommandos. Die Häftlinge begeben sich kichernd in Dreiergruppen in die karg eingerichtete Zelle. Einer von ihnen ist Tarek. Taxifahrer, abgebrochener Soziologiestudent, aber eigentlich Journalist, der undercover über das Experiment berichten soll. Natürlich ist Tarek für eine gute Story auch bereit, mit ein paar Provokationen nachzuhelfen.

Anfangs reagieren die Aufseher unsicher. Es beginnt mit harmlosen Strafliegestützen. Aber schon in der nächsten Nacht überfallen die Uniformierten die Häftlinge und zwingen sie, nackt auf dem Boden zu schlafen. Oben an den Monitoren beobachten Professor Thon (Edgar Selge) und seine weißgekittelten Mitarbeiter den erfolgreichen Verlauf des Experiments mit wissenschaftlicher Begeisterung. Bedenken werden zerstreut, auch wenn sich die Spirale von Aggression und Erniedrigung enorm beschleunigt.

Mit großer Genauigkeit zeigt der mehrfach ausgezeichnete TV-Regisseur Hirschbiegel die rasante Entwicklung eines gruppendynamischen Ausnahmezustandes in einer künstlichen Gefängnishierarchie. Das Experiment ist ein Ensemblefilm mit hervorragenden schauspielerischen Einzelleistungen. Die klaustrophobische Situation während der Dreharbeiten unter Tage ist den Darstellern durchaus anzumerken. Zwischen die eskalierende Handlung werden einzelne Videostatements der Probanden hineingeschnitten, die von den Schauspielern größtenteils improvisiert wurden und die Grenzen zur Rolle oftmals verschwimmen lassen. Einzig Moritz Bleibtreu ragt als Identifikationsfigur aus dem Ensemble heraus. Ihm haben die Drehbuchautoren eine Liebesgeschichte angedichtet, die etwas bemüht die Verbindung zur Außenwelt herstellen soll. Schwach wirkt Das Experiment nur dann, wenn es sich vom Untersuchungsgegenstand entfernt, um die dramaturgischen Ansprüche des Unterhaltungsfilms zu erfüllen. Neben der überflüssigen Lovestory gehört dazu auch der finale Shoot-Out in den Katakomben der Universität. Dabei bietet die beklemmende Studie auch ohne diese Standardbeigaben genug Spannung und Stoff zum Nachdenken.

Martin Schwickert

D 2001 R: Oliver Hirschbiegel B: Mario Giordano, Christph Darnstädt, Don Bohlinger D: Moritz Bleibtreu, Christian Berkel, Justus von Dohnanyi