»EXTREM«

Krankheits- wesen

Dr. Hugh Grant gegen Dr. Gene Hackman

Klingt wie ein üblicher Thriller-Plot: Junger Arzt bekommt einen Patienten mit eigenartigen Symptomen auf den Untersuchungstisch. Arzt ist fasziniert, versucht alles, aber - Patient stirbt. Arzt grübelt, will wissen, was Patient hatte, aber am nächsten Tag sind Leiche und sämtliche Unterlagen verschwunden. Und die Kollegen tun, als wüßten sie von nichts. Aber: Arzt ist hartnäckig. Da kommt die Polizei in sein Apartment und findet viel Kokain. Arzt wird entlassen, angeklagt und mit Ausweisung bedroht (Ausländer). Da bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als das Rätsel auf eigene Faust und mit allen Mitteln zu lösen. Und natürlich kommt er dabei einer erstklassigen Super-Schweinerei auf die Spur.
Extrem ist aber kein üblicher Thriller. Extrem heißt im Original "Extreme Measures", extreme Wertmaßstäbe also, und genau darum geht es. Das wird ganz am Anfang sehr schön angedeutet. Hugh Grant als Dr. Guy Luthan steht in der Notaufnahme eines öffentlichen New Yorker Krankenhauses. Zwei Leute werden eingeliefert: ein Polizist mit Schußverletzungen und der ebenfalls angeschossene Kontrahent, ein drogenabhängiger Psychopath. Im OP ist aber nur ein Tisch frei. Luthan entscheidet, daß der Polizist als erster drankommt. Zwar überleben dann beide, aber die Frage, ob es eine medizinische oder eine moralische Entscheidung war, wird gestellt.
Auf einer ganz anderen Ebene handelt der angesehene Neurologieprofessor Dr. Lawrence Myrick (Gene Hackman) nach seinen eigenen Wertvorstellungen. Myrick will Querschnittslähmung heilen, und er hat eine Methode entwickelt. Um die allerdings zu perfektionieren, muß er sie anwenden. Als Versuchspersonen entführt er Obdachlose, durchtrennt deren Rückenmark und versucht, den Schaden wieder zu beheben. Mit einem gewissen Erfolg, der jedoch nicht von Dauer ist. Nach kurzer Zeit sterben die "Patienten". Ein kleines Opfer, meint Myrick, im Vergleich zur Aussicht, Gelähmten wieder auf die Füße zu helfen. Doc Luthan, als er dahinterkommt, ist nicht seiner Meinung.
Nicht nur auf der inhaltlichen Ebene unterscheidet sich Extrem von üblichen Thrillern. Da ist die Genauigkeit, mit der der Krankenhausbetrieb gezeigt wird. Keine Spur von Glamour und dem Medizinbild, das sonst so in Film und Fernsehen verbreitet wird. Dieses Krankenhaus wird nicht nur Reparaturwerkstatt genannt, es sieht auch so aus. Schnellverarztung im Akkord. Und immer ein Buchhalter, der nach Krankenversicherung und Solvenz der Patienten fragt. Das alles aber so flott inszeniert, daß das Zusehen nicht nur irgendwie echt aussieht, sondern auch unterhaltsam ist. Profis bei der Arbeit.
Regisseur Michael Apted hat sich mit Spielfilmen wie Nell , Halbblut - Thunderheart oder Gorillas im Nebel einen Namen gemacht, er ist aber auch ein Dokumentarist, der den Dokumentarfilm mit der Spielfilmkarriere nicht vernachlässigt hat. Er kann beides, und das sieht man Extrem an. Die Sachlichkeit im Krankenhaus gegen die fast surrealistische Obdachlosen-Unterwelt, in die es den Helden auf der Suche nach Spuren verschlägt, dagegen dann das blitzblanke und durchgestylte Versuchshospital des Antagonisten: Extrem ist auch von einem großen visuellen Reichtum. Und dazu der Thriller-Plot, der auch wie ein Thriller funktioniert, also reichlich spannend ist. Nur eben nicht auf die übliche Art.

Jens Steinbrenner