DER FELSEN

Pixel-Liebe

Dominik Graf kommt nur halb ins Kino zurück

Eigentlich sollte es ein Kino-Comeback für Dominik Graf sein, vor versammelter Weltpresse, Anfang Februar im re-germanisierten Wettbewerb der Berlinale. Aber die Reaktionen blieben verhalten und die Fragen in der Pressekonferenz höflich-unbestimmt. Graf gilt als einer der besten Regisseure des deutschen Films. Als alle nur noch Komödien drehten, machte er Filme, die mehr wollten als nur mittelprächtig zu amüsieren. Die knappen Titel waren Programm: Die Katze (1988), Spieler (1990), Die Sieger (1994). Als letzterer im Kino floppte, wandte sich Graf, entnervt von den zähen Kämpfen im bundesdeutschen Filmförderdschungel, dem Fernsehen zu und war seitdem in jedem Jahr mit ein bis zwei Produktionen in der Primetime präsent.
Sein neuer Film Der Felsen verweigert sich demonstrativ der hochpolierten Kinoästhetik. Auf einer Amateur-DV-Kamera gedreht und angesiedelt im fernen Korsika, erinnern die Bilder eher an ein Urlaubsvideo. Katrin (Karoline Eichhorn) strandet hier. Bleibt übrig, als ihr Geliebter sie während einer Geschäftsreise sitzen lässt und zu seiner schwangeren Frau zurückkehrt. In einem Touristenort an der Küste, wo alle anderen sich nach Kräften erholen, bricht für Katrin alles zusammen. Mitte dreißig ist sie, nicht naiv, aber irgendwie unbedarft. So als hätte es das Leben noch nie so richtig ernst mit ihr gemeint. Betrunken torkelt sie durch die warme korsische Sommernacht, lässt sich mit zwei Fremdenlegionäre ein und läuft dem 17jährigen Malte (Antonio Wanneck) in die Arme, der sich mit jugendlicher Hartnäckigeit in sie verliebt. Das schmeichelt Katrins verlassener Seele, auch wenn sie die Avancen des Jungen nicht recht ernst nehmen kann. Dass Malte wegen Mordes vorbestraft ist und in einem Resozialisierungscamp noch einmal eine Chance bekommt, erfährt sie erst spät. In den unentschlossenen Flirt mischt sich das Gefühl der Verantwortung. Dann wieder lässt sie sich von Maltes radikalisierenden Gefühlen anstecken und brennt mit ihm durch - bis die Situation ihrer Kontrolle entgleitet.
Die Liebesgeschichte der beiden Haltlosen hat enormes dramatisches Potenzial. Die schroffe Landschaft Korsikas wirkt wie ein Echo auf die widersprüchlichen Gefühle. Gleichzeitig verankern Karoline Eichhorn und Antonio Wanneck ihre Charaktere fest im Alltäglichen, um die aufkeimende Melodramatik wieder zu erden. Schön auch die Idee, den Erzählungen eines afrikanischen Straßenhändlers folgend, die Figuren lose durch herumirrende Gegenstände miteinander zu verbinden. Ein Badeanzug, ein Ring, eine Brieftasche wandern durch den Film und verstreben die Charaktere miteinander, ohne dass sie es selbst bemerken. Trotzdem bleibt man im Kino seltsam unberührt, blickt auf die Figuren wie durch eine beschlagene Fensterscheibe. Der Off-Kommentar erklärt in bedeutungschwangerer Diktion die wallenden Gefühle der Figuren, legt eine pseudopoetische Imprägnierung auf die Geschichte und bremst damit den Sog der Erzählung immer wieder aus. Auch die Ausflüge ins Genrekino samt Verfolgungsjagd und Schusswaffengebrauch wirken ungelenk. Größter Störfaktor ist die digitale Bildästhetik. Da mögen Regisseur und Kameramann noch so sehr vom Befreiungsschlag durch die mobile Handycam schwärmen, die DV-Bilder schaffen mit ihrem angestrengten Innovationsgehabe mehr Abstand als Nähe zu den Charakteren. Da stolpern die Figuren durch das bizarre korsische Gebirge und man erkennt sie kaum in den körnigen Pixeltotalen. Viele Bilder schreien förmlich nach einem ordentlichen Kinoauflösung. Das kommt dabei heraus, wenn man kurz vor Drehbeginn das Budget zusammenstreicht und statt auf Filmband im Homevideoformat dreht. Wenn Digitalästhetik zur Verlegenheitslösung wird, kann sie einen ganzen Film mit in den Abgrund ziehen.

Martin Schwickert

D 2002. R: Dominik Graf. B: Markus Busch, Dominik Graf. K: Benedict Neuenfels. D: Karoline Eichhorn, Antonio Wanek, Sebastian Urzendowsky, Ralph Herforth, Peter Lohmeyer