FETTE WELT


Kalte Bilder

Jürgen Vogel in der Penner- Welt

Nachdem Detlev Buck in seinem oberflächlichen Heilsarmee- Spektakel Liebe Deine Nächste das Penner-Milieu als illustre Kulisse filmisch erschlossen hat, folgt mit Jan Schüttes Fette Welt eine eher ernstzunehmende Auseinandersetzung zum Thema Obdachlosigkeit. Der Film begibt sich tief hinein in die Welt der Bahnhofsklos und Notunterkünfte.
Hagen Trinker (Jürgen Vogel) lebt seit langem auf der Straße und macht seinem Nachnamen alle Ehre. Selbst in der Obdachlosengemeinde, die gemeinsam in leerstehenden Rohbauten am Münchner Stadtrand oder unter den Brücken der Isar haust, bleibt er ein Außenseiter. Über seine Geschichte erfährt man wenig, nur daß der Vater Polizist ist und an Schlägen nicht sparte. "Ich saufe gern, ich lebī gern auf der Straße, ich bin gern Penner" û mit markigen Worten weiß Hagen den Status Quo zum Lebensziel zu erklären. Verschlossene und verhärtete junge Männer û da bewegt sich Jan Schütte (Drachenfutter, Auf Wiedersehen Amerika) im gängigen Klischee û werden im Kino immer wieder zum Anziehungspunkt für gutmütige Frauenherzen. Hier ist es die Ausreißerin Judith (Julia Filimonow), die so lange provozierend an der rauhen Schale kratzt bis der weiche Kern hervortritt. Das Glück ist von kurzer Dauer. Denn schon bald wird das Paar von der Polizei aufgegriffen und die minderjährige Ausreißerin zurück zu den Eltern verfrachtet. Natürlich kann Hagen sie nicht vergessen. Selbst die Arbeit als Leichenwäscher tötet die Erinnerung nicht ab. Er reist ins novemberkalte Berlin, um sie zu suchen und findet dabei erwartungsgemäß vor allem sich selbst. Die Geschichte ist von wenig überzeugender Schlichtheit und eigentlich ist Fette Welt nur dort interessant, wo sich der Film vom Zentrum entfernt. Mit großer Genauigkeit wurden die Nebenfiguren entworfen und Skurrilitäten aus der Obdachlosenszene mit ausstatterischer Finesse nachgestellt. Dabei degradiert Schütte im Gegensatz zu Buck die Penner-Clique nicht zur Knallchargen-Kompanie, sondern läßt zwischen dicken Bärten, bunten Mützen und speckigen Jacken die Einzelcharaktere zum Vorschein kommen. In durchaus drastischen Szenen wird die Härte des Obdachlosenalltags beschrieben. Die Sanftmütigkeit von Schüttes letzten Spielfilm Auf Wiedersehen Amerika ist verschwunden. Kühl sind die Bilder, die Kameramann Thomas Plenert aus der verspiegelten Fußgängerzonen, den endlosen Gleisanlagen und den tristen Rohbauten am Stadtrand herausfiltert û so ungeschminkt hat man München lange nicht mehr gesehen.

Martin Schwickert