Fliegende Fische müssen ins Meer

Mama, die Schlampe

Ein Sozialdrama als Komödie

Roberta ist die Arschkarte unter den Müttern und ich habe sie gezogen" erklärt Tochter Nana. Es sind nicht die üblichen Autoritätskonflikte, die die 15jährige mit ihrer Mutter austrägt. Im Gegenteil: Die Stimme der Vernunft übernimmt in dieser Familie die große Schwester und nicht die alleinerziehende Mutter. Roberta ist 38, hat drei Kinder von drei Männern und ihr Leben nie wirklich in den Griff bekommen. Als Fremdenführerin lässt sie sich nur zu gern von Fremden verführen, nachdem sie bei der Bootsfahrt über den Rhein den Handlungsreisenden aus der Kraftwerksbranche "Like a Virgin" vorgeträllert hat. Die Männer laden sie zum Essen ein, versprechen ihr ein neues Leben in fernen Ländern und sind am Morgen danach verschwunden.

Im Dorf direkt an der Schweizer-deutschen Grenze zerreißen sich die Damen im Feinkostladen den Mund über die flatterhafte Mehrfachmutter und auch das Jugendamt wird auf die chaotische Familie aufmerksam, nachdem Roberta beim Baden das Kleid abhanden gekommen ist und sie barbusig durch den Ort nach Hause laufen musste.

Für Nana, die als Schleusenwärterin etwas dazu verdient und von einer Karriere als Kapitänin träumt, steht fest, dass sie und ihre Geschwister einen vernünftigen Mann für die Mutter finden müssen. In die engere Wahl kommen der etwas gesetzte, aber gutmütige Chorleiter Karl und der schmucke, junge Arzt Eduardo, für den Nana allerdings schon bald ihre eigenen Gefühle entwickelt.

Eigentlich hat Fliegende Fische müssen ins Meer alle Zutaten für ein schwermütiges Sozialdrama, aber die schweizerisch-türkische Regisseurin Güzin Kar verhandelt die Widrigkeiten des Alleinerziehenden-Daseins als bunte Komödie, die sich nur wenig um sozialen Realismus kümmert. Immer wieder driftet die Kamera ab in Nanas Phantasien, spult die Tratsch-Orgien der Dorffrauen im Schnelldurchlauf vor oder erzählt eine Rückblende über den flimmernden Fernsehbildschirm im Wohnzimmer.

Das liebevolle, an den 70er-Jahren orientierte Design zeugt von Mut für grelle Farbkontraste, und Meret Becker stöckelt prinzipiell und ausnahmslos in knallroten Sommerkleidern durch jeden noch so trüben Tag.

Sicherlich ist Fliegende Fische müssen ins Meer als Debütfilm alles andere als perfekt. Vor allem der Off-Kommentar ist überausführlich geraten, auch das regelmäßige Wiederaufsuchen der immer gleichen Locations ermüdet etwas. Aber als Erstlingswerk trägt Kars Film genug kreative Frische in sich, um über so manche Unausgegorenheit hinweg zu trösten.

Martin Schwickert

CH/D 2010 R&B: Güzin Kar K: Benjamin Dernbecher D: Meret Becker, Elisa Schlott, Barnaby Metschurat