WENN DIE FLUT KOMMT

Im Lauf der Zeit

Die Schauspielerin und ihr Liebhaber: ein Roadmovie mit viel Zeit

Irène (Yolande Moreau) hat jeden Abend ein anderes Küken. So nennt sie jene Männer, die sie aus dem Publikum auf die Bühne zitiert, damit die dann jeweils den Versuchsliebhaber spielen. Mit Maske, einer langen Nase und blutigen Händen steht die Schauspielerin auf der Bühne. Ihre makabre Ein-Frau-Show erzählt von einer Mörderin auf der Suche nach einer romantischen Liebe. Die letzte Beziehung ist nicht so gut gelaufen. Von der stammt das Blut an den Händen.
Mit ihrem clownesken Stück tourt Irène über die Dörfer durch Nordfrankreich. Straßenfeste, Altersheime, Kulturzentren das Publikum ist jeden Abend ein anderes. Als sie eine Autopanne hat, hilft ihr ein kleiner quirliger Mofafahrer. Irène bedankt sich mit ein paar Theaterkarten, und am Abend sucht sie sich Dries (Wim Willaert) als Küken aus, der die Mutprobe mit viel Humor besteht.
Dries wohnt in einer kleinen Fabrikhalle, in der riesige Pappmaschee-Figuren lagern, die jedes Jahr für den traditionellen Dorfumzug benutzt werden. Mit großen Augen beobachten die Figuren die zögerliche Annäherung zwischen den beiden. Dries reist Irène hinterher und sitzt jeden Abend im Publikum, um als Küken auserwählt zu werden. Langsam wird aus den beiden auch jenseits der Bühne ein Liebespaar, während sich der Film als Roadmovie durch die nordfranzösische Provinz arbeitet.
Wenn die Flut kommt ist eine Liebesgeschichte, die sich alle Zeit der Welt nimmt, um die Gefühle ihrer Figuren zu entwickeln. Eine Liebe zwischen zwei starken, individualistischen Charakteren, die ihre gegenseitige Faszination gerade aus dem Andersein entwickeln.
Dass Irène immer wieder zu Hause anruft und mit ihrem Ehemann die Wahl der Fliesen bespricht, wirft von Anfang an den Schatten der Vergänglichkeit über die Beziehung. Sie hat ein Leben, in das sie zurückkehren kann, und das gibt Irène ein mächtigere Position, gegen die Dries wie ein tapferer Don Quichotte ankämpft. Dass der Film dabei auf große dramatische Gesten verzichtet, ist die Stärke dieser spröden, poetischen und sehr erwachsenen Liebesgeschichte.

Martin Schwickert

Quand la mer monte...F/B 2004 R&B: Yolande Moreau, Gilles Porte K: Gilles Porte D: Yolande Moreau, Wim Willaert, Jacky Berroyer