FREEDOM WRITERS

Gute Güte

Ghettokids und Gutmenschen: Problemlösung in L.A.

Die Lehrerin hält eine Zeichnung in die Luft. Darauf ist ein afroamerikanischer Mitschüler als Karikatur mit überdimensionierten Lippen zu sehen. Die Klasse kichert, und Erin Gruwell (Hilary Swank) verliert zum ersten Mal die Fassung, brandmarkt die Zeichnung als rassistisch, vergleicht sie mit der antisemitischen Propaganda im Dritten Reich, mit der die Nazis den Holocaust vorbereitet hätten. Sie schaut in leere Gesichter. Nach einer langen Pause fragt ein Schüler vorsichtig: "Was bedeutet Holocaust?"
Los Angeles 1994. Zwei Jahre nach den Rodney-King-Riots beginnt Erin Gruwell ihren Dienst an der Wilson High School. Im Klassenzimmer sind die Härtefälle aus den anliegenden Ghettos zusammengepfercht, die Schüler gruppieren sich entlang ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Alle haben ihre Erfahrungen mit den Bandenkriegen, die schon seit Generationen die gewalttätige Stimmung im Viertel anheizen. Und sie führen sie im Klassenraum weiter. Etwas verloren steht die gute Erin mit rotem Kostüm, Perlenkette und ihrer gutbürgerlichen Herkunft vor den grimmigen Ghettokids.
Aber ihr Idealismus kennt keine Grenzen und sie schafft es, die Klasse zu einer lernfähigen Solidargemeinschaft zusammen zu schweißen.
Am Wochenende arbeitet die Heilige Johanna der Schulhöfe an einer Hotelrezeption, um Bücher für ihre Schüler zu kaufen. Das Tagebuch der Anne Frank wird für die Jugendlichen zum Gleichnis für die eigene versperrte Lebenssituation, sie beginnen selbst in Tagebüchern ihr perspektivloses Dasein zu beschreiben.
Diese windelweiche, durch einen MTV-Soundtrack aufgepeppte Sozialschnulze ist "Inspired by a True Story". Die anfänglichen Versuche, die Geschichte durch Dokumentaraufnahmen und eine Ich-Erzählung aus der Jugendlichen-Perspektive in der Realität zu erden, verplätschern zunehmend, wenn Hilary Swank als unkaputtbare Idealistin die Szenerie betritt. Auch wenn es Erin Gruwell wirklich gegeben hat, als Filmfigur wirkt die makellose, unerschütterliche Pädagogin wie eine Außerirdische.
Man muss dem Drehbuchautor LaGravenese zugestehen, dass er den Blick vor den sozialen Härten des amerikanischen Ghettoalltages nicht verschließt. Aber als Gegengift injiziert er eine geballte Überdosis an naiver, sentimentaler Didaktik. Die Frage, was ein Schulsystem und die dazugehörige Gesellschaftsform wert sind, wenn es von seinem Schulpersonal ein überirdisches Maß an Idealismus und Gutmenschentum abverlangt, drängt sich dem Filmemacher nicht auf.

Martin Schwickert

USA 2007 R&B: Richard LaGravenese K: Jim Denault D: Hilary Swank, Patrick Dampsey, Scott Glenn, 123 Min.