Fruitvale Station

Endstation

Der unvermeidliche Tod des Oscar Grant

In der Silvesternacht 2009 wurde der Afroamerikaner Oscar Grant im kalifornischen Oakland bei einer Festnahme durch Bahnpolizisten auf dem Bauch liegend erschossen. Eine verdächtige Handbewegung zum Hosenbund hatte ausgereicht. Der Polizist griff nach eigenen Angaben versehentlich zur Dienstpistole statt zum Elektroschocker. Die Tat wurde von zahlreichen Augenzeugen mit der Handykamera gefilmt. Diese grobkörnigen Dokumentaraufnahmen stehen am Anfang von Ryan Cooglers Regiedebüt Fruitvale Station. Mit dem Schuss, der zwischen den Wortgefechten nur undeutlich zu hören ist, spult der Film zurück zum Silvestermorgen und in eine Spielfilmhandlung, in der Coogler den letzten Lebenstag des 22-jährigen Revue passieren lässt.

Es ist ein einfaches und sehr effektives Erzählkonzept, mit dem Fruitvale Station dem Opfer polizeilicher Willkürgewalt ein Gesicht gibt. Oscar saß schon zweimal wegen Marihuanahandel im Gefängnis und hat im letzten Jahr versucht, sein Leben wieder auf die Beine zu stellen. Vor zwei Wochen hat er seinen Job im Supermarkt verloren. Seine Freundin Sophina, mit der er zusammen eine vierjährige Tochter hat, weiß davon noch nichts. Der Tag vergeht damit, dass Oscar Besorgungen für den Geburtstag seiner Mutter macht und seinen Chef versucht davon zu überzeugen, ihn wieder einzustellen. Im Streit mit dem Vorgesetzten erkennt man das leicht entflammbare Temperament Oscars, der vorhin an der Fischtheke noch eine Kundin höchst charmant mit Großmutters Meeresfrüchterezepten versorgt hat.

Über feine alltägliche Beobachtungen setzt Coogler ein Mosaik zusammen, das auf vielschichtige Weise die Persönlichkeit und das soziale Umfeld eines jungen Mannes zusammensetzt, dessen ökonomische Existenz stets auf der Kippe steht. Dennoch erkennt man in Oscar auch einen Menschen, der in der Lage und gerade dabei ist, seinem Leben eine beständigere Richtung zu geben - bis er in der Silvesternacht auf Anraten seiner Mutter nicht mit dem Auto, sondern mit dem öffentlichen Nahverkehr nach San Fransisco fährt, um sich mit seinen Freunden das Feuerwerk anzuschauen. Auf der Rückfahrt gerät er in eine Schlägerei. Die Bahnpolizisten ziehen gezielt die afroamerikanischen Passagiere als Verdächtige aus dem Zug, die sich verbal, aber nicht tätlich zur Wehr setzen.

Unmissverständlich macht der Film klar, dass Oscar Grant als Weißer noch am leben wäre. Dennoch holt Coogler hier nicht zu einem antirassistischem Pamphlet aus, sondern zeigt auf der anderen Seite das offene und tolerante Klima des zwischenmenschlichen Umgangs in der San Fransisco Bay Area.

Martin Schwickert

Fruitvale Station. USA 2013 R & B: Ryan Coogler K: Rachel Morrison D: Michael B. Jordan, Melonie Diaz, Octavia Spencer, Kevin Durand, Chad Michael Murray 85 Min