GAINSBOURG

Zerbrechlich

Ein liebevoll-fantastisches Portrait des Chansonniers Serge Gainsbourg

Paris 1941: Der dreizehnjährige Lucien Ginsburg ist am Morgen der Erste der beim Polizeipräsidium seinen Judenstern abholt. Stolz geht er damit durch die Straßen, obwohl der Junge, der nicht religiös erzogen wurde, eigentlich keine Ahnung hat, was ein Jude ist. Da helfen die nationalsozialistischen Propaganda-Plakate, die an jeder Ecke hängen. Eine riesige, antisemitische Judenkarikatur steigt aus der Plakatwand. Der Junge tanzt mit ihr, bis sie immer schwerer wird und er den fetten Kerl mit nach Hause schleppen muss.

Gleich zu Beginn macht Joann Sfar in seiner Hommage Gainsbourg klar, dass es hier nicht um ein konventionelles Biopic über den legendären Chansonier geht. Sfar ist einer der bekanntesten französischen Comic-Zeichner und die Kunst des Zeichnens und Überzeichnens bringt er mit in sein Kinodebüt ein. Die überlebensgroße Karikatur verwandelt sich später im Traum zu einer schlaksigen Puppe, die Gainsbourg ein Leben lang als Mischung zwischen Nosferatu, Mephisto und Alter Ego begleitet.

Dabei geht es Sfar nicht um Symbolik und psychologische Erklärungsmuster, sondern um eine eigene künstlerische Aneignung des Mythos, den Serge Gainsbourg in Frankreich und weit darüber hinaus darstellt.

Gainsbourg war das Enfant Terrible im Frankreich der sechziger und siebziger Jahre. Jeder Fernsehauftritt wurde zum Skandal, während seine Chansons sich mit melancholischer Beharrlichkeit in das Ohr der Nation einschlichen. Und natürlich galt der ganz und gar nicht hübsche Liedermacher als der größte Womanizer seiner Generation. Mit Brigitte Bardot hatte er eine leidenschaftliche Affäre und mit Jane Birkin eine langjährige Beziehung.

Sfar findet immer einen originellen Zugang zu den biografischen Eckdaten, lässt Laetitia Casta als Bardot auf dem Flügel tanzen und spielt den erotischen Skandalhit "Je t'aime... moi non plus" nur als kurzes Demoband im Büro eines Musikproduzenten an.

Die biografische Collage interessiert sich nur am Rande für den Provokateur, der Gainsbourg vor allem in seinen späteren Lebensjahren war, und mehr für die Zerbrechlichkeit des Musikers - und für den Prozess der Inspiration. Die Momente, in denen die Musik direkt aus der Lebenssituation heraus entsteht, sind Sfar am Überzeugendsten gelungen. Ohne das geringste Overacting wirft sich Éric Elmosnino in die Rolle des fragilen Genies. Die Ähnlichkeit ist frappierend, aber auch die Respektlosigkeit, mit der Elmosnino sich der Kulturikone annähert. Gainsbourg ist eine ebenso liebevolle wie fantasiereiche Dekonstruktion des Mythos und ist aufgrund seiner filmischen Musikalität und des feinen Humors auch für das nicht-frankophile Publikum von großem Unterhaltungswert.

Martin Schwickert

F 2010 R&B: Joann Sfar K: Guillaume Schiffman D: Éric Elmosnino, Laetitia Casta, Lucy Gordon