Die geliebten Schwestern

Klassik ist sexy

Dominik Graf verfilmt Schillers Liebesleben

Schiller fröstelt. Gerade ist der geniale Dichter und Nichtschwimmer in die Saale gesprungen und hat ein Kind vor dem Ertrinken bewahrt. Die Kleider sind nass und müssen vom Körper. Und während Hose und Hemd in der Sonne trocknen, wird der nackte Mann von zwei beherzten Damen gewärmt. Es sind die Schwestern Caroline von Beulwitz (Hannah Herzsprung) und Charlotte von Lengefeld (Henriette Confurius), die beide gleichermaßen in den jungen, schlotternden Schiller (Florian Stetter) verliebt sind. Aber das ist kein Problem. Zumindest nicht in diesem lichtdurchfluteten Sommer des Jahres 1788 im thüringischen Roudolstadt, wo die ungewöhnliche Ménage-à-trois ihren Anfang nimmt.

Für die Dreiecksbeziehung zwischen dem Dichter und den beiden wenig begüterten Adelstöchtern gibt es in der Schillerforschung einige Indizien, wenn auch keine stichfesten Beweise. Genug Raum für Spekulation also, den Regisseur Dominik Graf mit 138 wunderbaren Kinominuten füllt. Ähnlich wie Philipp Stölzls Goethe! setzt auch Graf alles daran, die historische Distanz zum Sujet aufzubrechen und eine emotionale Unmittelbarkeit herzustellen. Alle Behäbigkeit des Kostümfilms wird abgestreift, was bleibt, ist die Klarheit der Gefühle, die im entschleunigten Setting des 18. Jahrhunderts hell erstrahlt.

Vor allem jedoch ist Die geliebten Schwestern ein Film der Briefe, in denen sich Schwestern und Liebhaber gegenseitig ungeheuer wohl artikuliert und geschickt verschlüsselt das Herz ausschütten. Briefe, auf die sehnsuchtsvoll gewartet wird. Briefe, die von gehetzten Kurieren außer Atem zugestellt werden. Briefe, deren Worte in geschwungener Handschrift eher gemalt als geschrieben werden. Briefe, in denen die heimliche Liebe zu dritt stärker erblüht, als sie es in der Realität vermag.

Auf den dringlichen Rat der unglücklich vermählten Caroline hin, heiratet Charlotte den umstrittenen Schriftsteller, der bisher in finanzieller Abhängigkeit von vorwiegend weiblichen Mäzenen lebte und nun eine Stelle an der Universität antritt. Aber mit der Etablierung gerät das Dreieck bald aus der Balance.

Graf zeigt die romantische Liebe und die Geschwisterliebe als zwei gleich starke Magnetfelder, deren Anziehungskräfte sich mal gegenseitig stabilisieren, mal einander aus der Bahn werfen. In dem Ringen um das gemeinsame Glück jenseits gesellschaftlicher Konventionen spiegelt sich eine Zeit starker Umbrüche, die im Nachbarland Frankreich zur Revolution und deren blutigen Exzessen führen.

Nur als Schatten taucht der historische Kontext auf in diesem Film, der sich ganz der emotionalen Verfassung seiner Figuren verschreibt. Hannah Herzsprung und Henriette Confurius geben ein im doppelten Wortsinn fabelhaft schillerndes Schwesternpaar ab, in dem sich traditionelle wie moderne Frauenstereotypen beständig brechen. Da gerät das Dichtergenie schon mal zum Spielball weiblicher Gefühle, auch wenn man Schiller im Kino sicherlich noch nie so sexy gesehen hat.

Graf lässt sich hier mit sichtbarer Liebe zum Genre auf die Gepflogenheiten des Kostümfilms ein und verleiht der Angelegenheit gleichzeitig eine sehr gegenwärtige Erzähldynamik, die 138 Minuten wie im Flug vergehen lässt.

Martin Schwickert

D/" 2013/14 R & B: Dominik Graf K: Michael Wiesweg D: Hannah Herzsprung, Henriette Confurius, Florian Stetter. 138 Min.