»AM ENDE DER GEWALT«

Augen über der Stadt

Wim Wenders und die mediale Gewalt

Vor einigen Jahren sorgte Sophia Loren während einer Berlinale-Pressekonferenz für mitleidiges Schmunzeln. Auf die Frage, mit welchem deutschen Regisseur sie gerne mal einen Film machen wolle, antwortete sie ohne zu zögern: "Wim Wenders". Wenders ist ein im Ausland hochangesehener Filmemacher, während er hierzulande eher als Prügelknabe für den altbackenen bundesdeutschen Autorenfilm gilt. Ende der 70er/Anfang der 80er war Wenders schon einmal für einige Produktionen nach Hollywood gegangen: Hammett und Paris, Texas sind dort entstanden, und nach zehn Berliner Jahren kehrt Wenders mit Am Ende der Gewalt nach Hollywood zurück.
Hollywood heißt auch der Schauplatz. Der Filmproduzent Mike Max (Bill Pullman) hat es hier mit der Produktion von harter Action-Ware zu enormem Reichtum gebracht. Von der Veranda seiner Villa in Malibu-Beach regiert er sein Medien-Imperium mit hochmoderner Computer- und Fernmeldetechnik. Über mehrere Standleitungen kommuniziert er mit den Mitarbeitern am Set, seinen Anwälten; per Mouse-Klick erscheint seine Assistentin auf dem Bildschirm des Notebooks. Die Technik macht alles möglich und beherrschbar.
Dies ist auch die Maxime eines geheimen FBI-Projektes, das sich in einer Sternwarte hoch über den Hügeln von Los Angeles einquartiert hat. Der ehemalige NASA-Experte Ray Bering (Gabriel Byrne) arbeitet hier an der totalen Überwachung der gewaltbereiten Bevölkerung. Hunderte von Kameras auf den Dächern der Stadt, via Satellit miteinander verschaltet, sollen der Kriminalität auf der Straße ein Ende bereiten. Als Mike Max von zwei Killern entführt wird, beobachtet Ray die Tat auf dem Bildschirm. Für einige Sekunden fallen die Monitore jedoch aus, und als sich das Bild wieder stabilisiert, sind die beiden Killer tot und die Geisel verschwunden. Der ungewöhnliche Mordfall setzt die mehrsträngige Handlung in Gang: Max nutzt die Konfrontation mit dem Faktor Tod und sein öffentlich vielbeachtetes mysteriöses Verschwinden zum Überdenken der eigenen Existenz. Derweil findet seine Ehefrau Paige (Andie MacDowell), , die sich ohnehin aus ihrer Rolle als Luxusweibchen befreien wollte, nach anfänglichen Depressionszuständen, Geschmack am Filmbusiness. Den Wissenschaftler Bering lassen die lückenhaften Bilder des Mordes keine Ruhe, und er muß feststellen, daß auch er überwacht wird und seine Auftraggeber nur selektiv an der Eindämmung von Gewalt interessiert sind. Derweil ermittelt der junge Cop und Cineast Doc Block (Loren Dean) tapfer weiter, auch wenn ihm von höherer Stelle Steine in den Weg gelegt werden.
Im Gewand eines Thrillers setzt sich Wenders mit Am Ende der Gewalt mit dem vieldiskutierten Thema medialer Gewaltdarstellung auseinander. Dabei inszeniert Wenders anders als Michael Haneckes Funny Games' keine abschreckende Roßkur, sondern verzichtet ganz auf die Darstellung von Gewalt. Auch der zu erwartende moralische Impetus fehlt glücklicherweise völlig. Die Figuren werden nicht in katharsisartige Wandlungsprozesse hineingetrieben - eher assoziativ und immer hochbeweglich kreist der Film um sein Thema, läßt das Medium über sich selbst reflektieren, ohne nach gültigen Wahrheiten zu suchen. Dabei vergißt Wenders nicht die cineastische Bedürfnisbefriedigung. Seine Bilder füllen mit kräftigen Farben das Cinemascope-Format auf ganzer Breite aus. Souverän auch der Umgang mit den Genre-Zitaten: Vom coolen Cop über die Femme Fatale, bis hin zu dunklen Hintermännern, eigenbrödlerischen Wissenschaftlern und Damen, die im Luxus baden, ist alles vertreten, was das Genre zu bieten hat, ohne daß die Figuren in Stereotypen erstarren. Auf wundersame Weise mischt sich in Am Ende der Gewalt die intellektuelle Besinnlichkeit eines deutschen Autorenfilms mit amerikanischer Professionalität und Gestaltungswillen zu einem intelligenten Konsumprodukt.

Martin Schwickert