GIRLS TOWN


Der Feminist

Drei Girls auf Rachefeldzug

Wenn ein Mann, ein Filmregisseur gar, sich als Feminist bezeichnet, schnellen während des Lesens ganz unwillkürlich die Augenbrauen hoch, als Zeichen tiefer Skepsis gegenüber solcherlei Bekenntnissen. "Als Feminist liebe ich Stories über das Erwachsenwerden, aber die, die ich gesehen habe, waren immer männlich", so gibt Jim McKay treuherzig zu Protokoll und nennt seinen Film programmatisch Girls Town. Nun, seitdem die Wachowski-Brothers mit Bound gezeigt haben, daß ein gescheiter Lesbenfilm nicht immer unbedingt von eben solchen gemacht werden muß, wollen wir jetzt auch noch einem feministischen Regisseurskollegen eine Chance geben, auf daß die erstarrten Kategorien sich endgültig in Luft auflösen.
Angela, Emma und Patti sitzen in einem miefigen Souterrainzimmer und können es nicht fassen. Vor einigen Tagen hat sich ihre High-School-Freundin Nikki umgebracht, und nun erfahren sie aus Tagebuchaufzeichnungen, daß sie kurze Zeit zuvor von einem Arbeitskollegen vergewaltigt worden war. "Warum hat sie uns das nie erzählt? Ich meine, wir sind doch ihre besten Freundinnen gewesen?" Allgemeine Ratlosigkeit macht sich breit. Lange Pausen zwischen den Sätzen. Blicke auf den Boden gerichtet. Bis Emma zögernd erzählt, daß auch sie vergewaltigt wurde... von Joey, einem Klassenkameraden... in seinem Auto... nach einem Date. Man sieht diese Szene und möchte nicht wissen, was Hollywood aus dem Stoff gemacht hätte: Großaufnahmen auf entsetzte Gesichter, Tränen, die sich ihren Weg bahnen, kunstvoll verlaufene Schminke, tröstende Umarmungen, Oboenklänge aus dem Off; selbst eindrucksvolle Rückblenden auf die Gewalttat sind vorstellbar.
All das erspart uns Regisseur Jim McKay. Die Kamera beobachtet mit respektvollem Abstand das Geschehen. Oft sieht man die Person, die spricht, nur von der Seite oder von hinten. Geduldig widmet sich der Film der Unbeholfenheit der Situation, ohne sie durch schablonierte Gefühlsduselei aufzulösen. Kein herzzerreißendes Einzelschicksal, sondern eine alltägliche Situation.
Die drei Freundinnen stehen kurz vor ihrem High-School-Abschluß. Emma (Anna Grace) will am College studieren, Patti (Lili Taylor) träumt von einem Job als Automechanikerin und Angela (Bruklin Harris) will einfach nur weg aus der New Yorker Vorort-Tristesse. Bevor sie jedoch getrennte Wege gehen, beschließen sie, sich zuerst einmal gemeinsam Respekt zu verschaffen. Zunächst wird Joshs Wagen Gegenstand eines befreiendes Happenings. "Rapist" steht anschließend in großen Lettern auf der zerbeulten Motorhaube. Danach räumt das Trio die Wohnung von Pattis Ex-Freund aus. Er hat sie mit einem Kind sitzengelassen, zahlt keine Alimente und ist auch sonst auf ganzer Linie ein Stinkstiefel. Schließlich stellen die drei den Arbeitskollegen, der Nikki vergewaltigt hat, zur Rede und verpassen ihm ein paar Tritte in adäquate Körperregionen. Irgendwann schreibt Emma mit dickem Edding "Nieder mit dem Patriarchat" auf die Toilettentür, und man befürchtet, daß es jetzt ideologisch richtig zur Sache geht und die theoretische Hardware frei Haus geliefert wird. Aber dann kommentiert ihre Freundin auch schon: "Was soll denn das heißen? Klingt ja wie ein Aufsatzthema."
Nein Girls Town vermeidet alle Anflüge von Befreiungs- und Solidarisierungskitsch à la Thelma und Louise, und überall dort, wo sich andere Filme in diesem Themenumfeld für die aufdringliche Formulierung einer Message entscheiden, kehrt Jim McKay wieder zur realistischen Erzählhaltung zurück. Denn zu allererst geht es in Girls Town um die Vermittlung des Lebensgefühls von Mädchen, die in den 90ern erwachsen werden. Die fast schon dokumentarische Arbeitsweise der Kamera und die überzeugenden Darstellungen der Schauspielerinnen, die im übrigen auch an der Entwicklung des Drehbuchs beteiligt waren, geben Girls Town hierfür die notwendige Glaubwürdigkeit.

Martin Schwickert