GLÜCK IN KLEINEN DOSEN

Vorstadt-Hölle

Suff, Depression und bescheuert Kids - das Leben in den Vorstädten ist nur mit Pillen zu ertragen

Manchmal muss man nur die Jalousie mit den Fingern ein bisschen auseinander drücken, um einen Blick direkt auf die Hölle werfen zu können. Die Hölle beginnt direkt hinterm Vorgarten und ist frisch gefegt und sieht aus wie in Desperate Housewifes oder American Beauty. Hier liegt kein Schmutz auf den Straßen, hier fahren keine Autos (außer die der Nachbarn, die man kennt), hier passiert überhaupt nichts, was nicht absolut vorhersehbar wäre. Hier sind alle gnadenlos freundlich zueinander.
Und dann bringt sich Troy um, Deans bester Freund. Troy war der Drogendealer der Highschool. Sein Tod hinterlässt eine schmerzende Lücke, denn die Versorgung mit Psychopharmaka ist plötzlich gefährdet. Also entführen ein paar Schüler Deans Bruder Charlie. Dann rufen sie Dean an und sagen, er, als Troys bester Freund, müsse doch wissen, wo der seine Drogen gebunkert hat und sie würden Charlie laufen lassen, wenn er, Dean, ihnen die Drogen besorgt.
Dean ist aus vielerlei Gründen am Leben an sich desinteressiert, aber ganz besonders langweilt ihn dieses seltsame Kidnapping. Zumal sein kleiner Bruder Charlie quietschfidel neben ihm auf dem Sofa sitzt und blutrünstige Video-Spiele spielt - die bösen Highschool-Kids haben aus Versehen Charley Bratley entführt, den Sohn des Sheriffs.
Irgendwo zwischen Larry Clarks Kids und Sam Mendes' American Beauty bewegt sich The Chumscrubber (O-Titel), den sich die Debütanten Arie Posin (Regie) und Zac Stanford (Buch) ausgedacht haben. Die Welt der Halbwüchsigen und die der Erwachsenen laufen vollkommen aneinander vorbei, auch deshalb, weil niemand mehr dieses Leben ohne Drogen erträgt. Wo die Kids sich mit Pillen zuballern, laufen die Erwachsenen ständig mit gut gefüllten Rotweinschwenkern durchs Haus. Einmal lehnt die großartige Glenn Close (als Troys verzweifelte Mutter) an einer Hauswand und formt einen langen, lautlosen Schrei. Dann macht sie weiter mit ihrem Leben.
In fein verwickelten Episoden laufen die Erwachsenen-Geschichten parallel zu denen der Kids. Die Ex-Frau des Sheriffs (nicht minder wunderbar: John Heard) will am Sonntag heiraten. Ihr Lover ist der Bürgermeister des Städtchen (beeindruckend bekloppt: Ralph Fiennes), der sich, seit dem er einen Schlag auf den Kopf erhielt, seltsam somnambul durchs Leben lächelt und auch schon mal in vollen Klamotten den Pool der Nachbarin durchwatet. Die wird übrigens als laszives Luder von Carrie-Anne Moss derart erotisierend gespielt, dass man ihre Darstellung als humorloser Hungerhaken in Matrix endgültig vergessen darf.
American Beauty war ein lustiger Film, aber keine Komödie. Glück in kleinen Dosen ist einerseits böser, blutrünstiger, am Ende aber versöhnlicher. Die Guten werden belohnt, die Bösen kommen in den Knast, die Hysterischen irren ziellos herum. Das wird derart süffisant hintereinander gesetzt, dass es nicht ernst gemeint sein kann. Denn das einzig glückliche Ende für die amerikanischen Vorstädte und ihre Bewohner, das hat der Film mehrmals angedeutet, kann nur in einer gigantischen Atomexplosion bestehen. Bis es soweit ist, müssen halt weiter Pillen geschluckt werden.

Victor Lachner

The Chumscrubber. USA 2005. R: Arie Posin. B: Zac Stanford. K: Lawrence Sher.D: Jamie Bell, Camilla Belle, Glenn Close, Ralph Fiennes, John Heard, Carrie-Anne Moss, Rita Wilson