THE GOOD THIEF

Spiegelungen

Nick Nolte als grummeliger Gangster

Dem Erfolg von Steven Soderberghs Oceans Eleven ist es zu verdanken, dass sich das Gangsterfilm-Genre wieder an seine unblutigen Traditionen erinnert. In den 50er und 60er Jahren haben noch echte Gentlemen zur Kasse gebeten, die mehr mit dem Kopf als mit der Wumme gearbeitet haben. Neil Jordans The Good Thief setzt die Reihe der Remakes fort, und im November wird F.Gary Grays The Italian Job folgen. Jordan hat sich Jean-Pierre Melvilles Kasinoknackerfilm Drei Uhr Nachts (1955) vorgenommen, die Handlung behutsam erweitert und ins heutige Nizza verfrachtet. Dort lebt der abgehalfterte Dieb Bob Montagnet (Nick Nolte), der gerade dabei ist, seinen privaten Rentenfond für Heroin und Glücksspiel zu verprassen. Die einzige Therapie, die Bob vor seinem sicheren Untergang bewahren kann, ist ein neuer Coup. Ein Kasino in Monte Carlo soll erleichtert werden, und weil ein einfacher Raub zu wenig Komplikationen bietet, wird ein doppelter Coup geplant. Als Ablenkungsmanöver wird die Plünderung des Kasinotresors inszeniert, während eine millionenschwere Gemäldesammlung im benachbarten Gebäude das eigentliche Ziel des Raubzuges ist. Grund für soviel Doppelgemoppel ist Bobs freundfeindschaftliches Verhältnis zum Polizeichef Roger (Tchéky Karyo), der den alten Hasen vor einer neuen Dummheit bewahren will.
In den blau vernebelten Kellerbars von Nizza wirkt Nick Nolte wie eine Charles Bukowski-Figur, die nach dem Heroinentzug ihre kriminelle Intelligenz und ihr weites Herz wiederfindet. In Melvilles Original ist dieser Bob ein cooler Film-Noir-Held, der kein Wort zuviel verliert. Jordan hat aus der Figur einen laut vor sich hin verzweifelndes Plappermaul gemacht, das so viel Lebensweisheiten absondert, dass man einen Tagesabreißkalender damit bestücken könnte. Viel zu gut passt Nolte in diese Rolle hinein. Man muss ihn sehr gerne mögen, um seiner Figur durch den Film folgen zu können. Aber immerhin, wenn der Coup einmal in Gang gekommen ist, verfehlen die hübsch gedrechselten Plotwendungen nicht ihre erzählerische Sogwirkung. Von seinem Lebenslauf bringt Bob gleich mehrere, sich widersprechende Versionen in Umlauf. Seine Schulden bezahlt er mit einem echten Picasso, der sich als gute Fälschung erweist. Im japanischen Luxuskasino hängen die Kopien der großen impressionistischen Meister an der Wand, während die Originale in einem gut klimatisierten Safe verwahrt werden. Im Finale hetzt die Polizei hilflos zwischen den echten und falschen Tatorten hin und her. Immer wieder verweist Jordan plakativ auf dieses Leitmotiv der Spiegelungen von "echt" und "falsch", ohne daraus etwas Sinnvolles zu entwickeln. Das Spiel mit Wahrheit und Lüge wird zum intellektuellen Etikettenschwindel.

Martin Schwickert

Kanada/England/Frankreich 2002 R&B: Neil Jordan K: Chris Menges D: Nick Nolte, Tchéky Karyo, Nutsa Kukhianidze