GOTHIKA


Frauen hinter Gittern

Halle Berry als Frau Doktor weiß nicht, ob sie Wahnvorstellungen hat

Mit seinem durchgestylten Psychothriller Die purpurnen Flüsse wollte Mathieu Kassovitz beweisen, dass sich das französische Kino auch in diesem Genre gegen den amerikanischen Kinoimperialismus behaupten kann. Auf solche Herausforderungen reagiert Hollywood gerne mit brüderlicher Umarmung, nimmt den Delinquenten einfach selbst unter Vertrag und verdreifacht das Budget.
Für sein erstes Auswärtsspiel offerierte man Kassovitz sogar eine frischgebackene Oscar-Preisträgerin: Halle Berry spielt die Kriminalpsychologin Miranda Grey, die im Hochsicherheitstrakt für geistesgestörte Frauen ihren Dienst verrichtet.
Der Film stellt seine Heldin als kühle Rationalistin vor, die für jede Wahnvorstellung eine vernünftige Erklärung findet. Wenn eine ihrer Patientinnen dunkle Sätze wie "Er öffnete mich wie eine Blume des Schmerzes" formuliert, vermutet sie dahinter eher ein Missbrauchstrauma als den leibhaftigen Teufel, den Chloe (Penélope Cruz) in ihrer Zelle gesehen haben will.
Dass der Mensch nicht nur von der Vernunft regiert wird, erfährt Miranda wenig später jedoch am eigenen Leib. In regennasser Nacht stößt sie auf ein verängstigtes Mädchen, dass vor ihr effektvoll in Flammen aufgeht und sie in eine andere Welt katapultiert. Drei Tage später findet sich die Psychologin in einer Plexiglaszelle des Hochsicherheitstraktes wieder und kann sich an nichts mehr erinnern. Alle Indizien sprechen dafür, dass sie ihren Mann auf äußerst unschöne Weise ermordet hat. Um ihre Unschuld zu beweisen, ist Miranada auf die Hilfe übernatürlicher Kräfte angewiesen, deren Existenz sie bisher strikt verleugnet hat.
Eigentlich eine vielversprechende Idee, eine Psychologin auf die andere Seite des psychiatrischen Repressionsapparates zu stellen. Aber Kassovitz spielt leider nur kurz mit der Desorientierung, die mit der plötzlichen Entmündigung der Heldin einher geht. Was als klassisches Hitchcock-Setting beginnt, entwickelt sich schnell zu einer kruden spiritistischen Sitzung und wird am Ende in einem enttäuschend konventionellen Krimiplot aufgelöst.
Der holprigen Dramaturgie steht ein strenges ästhetisches Konzept gegenüber, das jedes Bild in kaltes, blaugraues Licht taucht und sich zu sehr auf die klaustrophobische Enge des modernen Gefängniskulisse verlässt. Aber wie schon kürzlich in Underworld können weder der düstere Stilwille noch die steigende Frequenz der Schockeffekte und enervierendes Dauerflackerlicht die inhaltliche Leere des Drehbuches füllen.

Martin Schwickert
USA 2003 R: Mathieu Kassovitz B:Sebastian Gutierrez K: Matthew Libatique D: Halle Berry, Robert Downey Jr., Charles S. Dutton