DAS GEHEIMNIS VON GREEN LAKE

Unglaubliche Geschichten

Das gibt's: Ein literarisch ambitionierter Teenie-Film

Camp Green Lake hat ein sehr griffiges pädagogisches Konzept: "Nimm einen bösen Jungen, lass' ihn den ganzen Tag in der prallen Sonne Löcher graben, dann wird aus ihm ein guter Junge". So erklärt es der kauzige Aufpasser, der Mr. Sir genannt werden will und dabei unablässig Sonnenblumenkernschalen in den Sand spuckt.
Mitten in der texanischen Wüste liegt die Jugendbesserungsanstalt Green Lake, umgeben von einer pittoresken Kraterlandschaft. Löcher - so weit das Auge reicht. Fünf Fuß breit, fünf Fuß tief. So lautet die Anweisung der Anstaltsleiterin (Sigourney Weaver). Stanley Yelnats (Shia LaBeouf) landet hier, nachdem ein Paar Turnschuhe vom Himmel direkt auf seinen Kopf fielen und der Richter einfach nicht glauben wollte, dass er die Treter nicht geklaut hat. Pech. Die ganze Familie ist davon verfolgt, seit Ururgroßvater Yelnats in Lappland mit einem Fluch belegt wurde.
Stanleys anekdotenreiche Familiengeschichte ist eng mit der geheimnisvollen Historie von Green Lake verbunden. Früher war hier, wo sich heute totbringende, gelbgefleckte Eidechsen in der Wüstensonne räkeln, einmal ein großer See. Aber als die Einwohner den schwarzen Geliebten der blondgelockten Dorflehrerin (Patricia Arquette) lynchten, wurde der Ort durch einen Fluch seines Wassers beraubt. Auch so eine unglaubliche Geschichte, eine von vielen, die in Andrew Davis Das Geheimnis von Green Lake miteinander auf kuriose Weise verflochten werden. Actionroutinier Davis ( Auf der Flucht , Collateral Damage ) hat sich den erfolgreichen Jugendroman Löcher von Louis Sachar vorgenommen und ihn nicht als x-beliebiges Teenie-Movie verfilmt, sondern daraus großes, erwachsenes Kino gemacht.
Das fängt mit der Besetzung an: Jon Voight mit Elvistolle und Kotelettenbart legt seinen Mr. Sir herrlich schräg zwischen Haudegen und getretenem Hund an. Sigourney Weaver mit roter Lockenpracht und Sommersprossen gibt eine begnadete Wüstendomina ab, und Patricia Arquette reitet als radikalisierte Dorfschullehrerin im schmucken Banditenoutfit mondän durch die Prärie. Ganz ohne Fantasy-Hokuspokus gelingt es Kameramann Stephen St. John, den magischen Realismus der Story in stimmungsvolle Bilder zu verpacken.
Das Geheimnis von Green Lake ist ein im besten Sinne literarischer Film, weil er den erzählerischen Qualitäten der Romanvorlage vertraut, ohne sie im angestrengten Eins-zu-eins-Verfahren a la Harry Potter nachzubeten. Einer der wenigen Filme für Teenager, der mit seiner skurrilen Geschichte und offenen Erzählstruktur die Fantasie anregt, anstatt sie durch Effektfeuerwerk oder Dauerlachsalven zu ersticken.

Martin Schwickert

Holes USA 2003 R: Andrew Davis B: Louis Sachar K: Stephen St. John D: Sigourney Weaver, Jon Voight, Tim Blake Nelson