»HANA-BI«

Noch einmal Leben

Der hellste »film noir« der Filngeschichte

Nishi ist ein schweigsamer Mensch. Bis er in diesem Film seinen ersten Satz sagt, vergeht fast eine Kinostunde. Ein bulliger Typ, Polizist von Beruf, mit hängenden Schultern und einem stoischen, zumeist schräg nach unten gerichteter Blick. Der japanische Regisseur Takeshi Kitano spielt hier (wie in all seinen Filmen) selbst den müden Helden. In Japan ist Kitano ein Star. Nicht wegen seiner Kinofilme, die will dort kaum einer sehen, sondern durch seine Omnipräsenz im Fernsehen. Bis zu neun TV-Shows absolviert Kitano wöchentlich, und als der frühere Stand-Up Komiker 1994 durch einen Motorradunfall längere Zeit nicht geschäftsfähig war, entstanden in den Sendeanstalten empfindliche Programmlücken. Wer Kitano als wortkargen Cop in seinem neuen Film Hana-Bi erlebt, kann sich ihn kaum als quasselnden Entertainer auf dem Bildschirm vorstellen. In seinen Kinofilmen macht Takeshi Kitano genau das Gegenteil von all dem, was er sonst tut.
Zunächst lädt der Regisseur seinem Protagonisten kiloweise Unglück auf den Rücken. Vom Tod der Tochter erfährt man im Nebensatz, und auch seine Frau ist sterbenskrank. Während der Arzt Nishi die Diagnose mitteilt, wird sein langjähriger Polizisten-Kollege Horibe (Ren Osugi) niedergeschossen. Auch die Verfolgung des Täters endet im Desaster: ein junger Cop findet den Tod. Immer wieder zeigt die Kamera in kühlen, distanzierten, nicht minder brutalen Zeitlupenaufnahmen die Erinnerung Nishis an diesen gewaltsamen Tod, für den er sich verantwortlich fühlt.
Genug Gründe für einen Schnitt. Nishi quittiert den Dienst, und um gut zu machen, was nicht wieder gut machen ist, wechselt er die Seite. Er leiht sich Geld bei der örtlichen Mafia-Vertretung und plant selbst einen Bankraub, um dem an den Rollstuhl gefesselten Horibe Pinsel, Stifte und Farben zu kaufen, die Witwe des verstorbenen Kollegen zu unterstützen und um mit seiner Frau eine letzte Reise zum verschneiten Fujiyama zu unternehmen. Noch einmal schlüpft er in die Polizeiuniform und überfällt in aller Seelenruhe und natürlich wortlos ein Geldinstitut. Die Flucht in die Schönheiten der Natur bringen Nishi und seiner Frau das späte Glück, welches von polizeilichen und mafiosen Verfolgern bedroht wird.
Das Schönste an Hana-Bi ist, zu sehen, daß man auch heute im Medium Film immer noch einmal alles anders machen kann. Anders ist zum Beispiel das Licht. Hana-Bi ist der hellste "film noir" der Filmgeschichte. Strahlendes blasses Blau durchflutet alle Bilder. Keine dunklen Winkel. Selbst die Nacht leuchtet. Alles ist sichtbar. Anders ist auch die Art, wie Kitano die Gewaltausbrüche seines Protagnisten inszeniert. Keine lustvoll durchchoreografierten Blutorgien, wie man sie aus Hongkong und Hollywood kennt, sondern kurze, abrupte Szenen, die ohne Vorwarnungen losschlagen und die Gewalt prägnant in bestechender Häßlichkeit ausformulieren. Anders auch die Art, wie man sich liebt. Keine Berührung. Keine tiefen Blicke. Keine Worte. Keine Tränen. Trotzdem bricht es einem sanft das Herz, wenn Hana-Bi das kleinformatige Glück des alten Paares zeigt. Kitanos Kunst liegt in der Reduktion und in den gezielten Auslassungen. Jede Sequenz scheint genau durchkalkuliert. Fast keine Schwenks. Schnelle Schnitte, die Bewegungen kurz anhalten. Lange ruhige Einstellungen, die im Stillstand die Aktion suchen - aber auch genau wissen, wann sie damit aufhören müssen. Hana-Bi ist das Gegengift zu Titanic . Eine cineastische Entschlackungskur, die nach Wochen besinnungsloser Völlerei mit kleinen delikaten Häppchen die filmischen Geschmacksnerven reaktiviert.

Martin Schwickert