Hannas Reise

Das Leben der Anderen

Eine deutsche Praktikantin stößt in Israel an die Grenzen ihrer Ignoranz

Was bleibt nach drei Generationen von der sogenannten Vergangenheitsbewältigung übrig und wie begegnen sich junge Deutsche und Israelis heute im immer noch mächtigen Schatten der Geschichte?

Dieser Frage geht Julia von Heinz in Hannas Reise nach und zeichnet dabei ein differenziertes und widersprüchliches Bild des komplexen Wurzelwerkes, das Deutsche und Israelis heute verbindet.

Hanna (Karoline Schuch) ist ein typisches Kind ihrer Generation. Ihre Großeltern haben den Nationalsozialismus miterlebt und mitgetragen. Ihre Mutter (Suzanne von Borsody) hat als Politaktivistin gegen das Schweigen der Tätergeneration rebelliert und arbeitet heute bei "Aktion Friedensdienste" für die Verständigung zwischen Deutschland und Israel. Hanna schließt gerade ihr BWL-Studium ab und will Karriere machen. Das politische Engagement ihrer Mutter, das immer auch mit einer Vernachlässigung der Tochter einherging, hat sie nie interessiert, und gegen die moralischen Widrigkeiten der Welt hat sie sich einen schnoddrigen Zynismus zugelegt. Sätze wie "Etwas mit Juden kommt immer gut. Und behinderte Juden zählen doppelt" gehen ihr leicht über die Lippen, wenn sie ihrem Freund erklärt, warum ein Praktikum in einem Behindertenheim in Tel Aviv der ultimative Karrierekick ist. Im Vorstellungsgespräch wurde nämlich auch soziale Kompetenz abgefragt.

Aus ihrer Notlüge vom ehrenamtlichen Einsatz um die deutsch-israelischen Beziehungen wird Ernst, als die Mutter ihr das Ausstellen der Bescheinigung verweigert und Hanna tatsächlich einen Praktikumsplatz besorgt.

In Israel geraten ihre klar strukturierten Zukunfts- und Lebensvorstellungen zunehmend ins Wanken. In der Freiwilligen-WG, wo sie Quartier bezieht, herrscht absolutes Chaos. Mit ihrer schroffen, effizienzorientierten Art stößt sie bei den Behinderten im Heim schnell an Grenzen. Der Flirt mit ihrem israelischen Arbeitskollegen Itay (Doron Amit) verwirrt die Seele genauso wie er ihr schmeichelt. Die zum Praktikum gehörenden Besuche bei einer Holocaust-Überlebenden laufen seltsam ins Leere, bis Hanna durch Gertraud (Lia Koenig) von den Schuldverstrickungen ihrer Großeltern erfährt.

Anfangs wirkt Hannas Reise etwas schematisch mit seiner am Bildungsroman orientierten Lernzieldramaturgie. Zu deutlich scheint diese Hanna als junge Karrierezicke ohne jegliches politisches Gewissen gezeichnet, die mit der historischen Distanz ihrer Generation die eigene Ignoranz rechtfertigt und vorhersehbar eines Besseren belehrt werden soll.

Aber mit der Ankunft in Israel kommt der Film in ein offeneres Fahrwasser und arbeitet an der Verunsicherung der Heldin genauso konstruktiv wie an der Destabilisierung der eigenen Läuterungsdramaturgie. Von der vermüllten Friedensdienstler-WG über die offen strukturierte Behinderteneinrichtung bis zu den Ausflügen ins Nachtleben Tel Avivs sucht und findet Julia von Heinz Locations und Bilder jenseits gängiger Israel-Klischees und lässt ihren Film immer wieder frei in der fremden Umgebung atmen.

Das gilt besonders für die Annäherung zwischen der selbstbewussten Praktikantin und "ihrer" Holocaust-Überlebenden, die von der israelischen Theater-Ikone Lia Koenig mit wunderbarem Understatement dargestellt wird. Auch Karoline Schuch überzeugt durch ihr differenziertes Spiel, mit dem sie ihre Hanna ohne Katharsisstress vom Stereotyp der herzkalten Karrieristin befreit und dennoch auch in der Verunsicherung die Integrität der Figur bewahrt.

Martin Schwickert

D/Israel 2013 R: Julia von Heinz B: John Quester, Julia von Heinz frei nach Motiven aus Theresa Bäuerleins Roman "Das war der gute Teil des Tages" K: Daniela Knapp D: Karoline Schuch, Doron Amit, Max Mauff. 100 Min.