»HAPPINESS«

Mann, Kinder, Carport

Alltagstragik zum Schieflachen

Im verschlafenen New Jersey haben die Menschen im Grunde mit den gleichen Macken und Neurosen zu kämpfen wie im benachbarten Großstadtmoloch New York. Vor der provinziellen Heile-Welt-Kulisse kommen ihre seelischen Defekte jedoch besser zur Geltung. Diesen Kontrast wußte Regisseur Todd Solondz schon in seiner bissigen Vorstadtkomödie Willkommen im Tollhaus für sich zu nutzen. Aus der Perspektive eines kleinen häßlichen Mädchens hatte der Autorenfilmer hier die Tyrannei der Normalfamilie ins Visier genommen.
Drei erwachsene Schwestern stehen nun im Zentrum von Solondz zweiten Film mit dem vielversprechenden Titel Happiness . Um sie gruppieren sich Eltern, Ehemänner, pubertierende Söhne, seltsame Nachbarn und kurzzeitige Affären. Mosaikartig legt der Film die Einzelgeschichten nebeneinander, springt zwischen den Figuren hin und her und verbindet sie nur lose miteinander. Erst im Kopf des Zuschauers setzt sich das bizarre Gesamtbild zusammen. Es geht um Glückssuche bzw. um die Dinge, mit denen man sich beschäftigt, wenn diese erfolglos verläuft.
Trish (Cynthia Stevenson) hat sich für die konventionelle Version des Glücks (Mann, Kinder, Carport) entschieden und leidet allenfalls an der Routine der Zufriedenheit. Ihre jüngste Schwester Joy (Jane Adams) treibt etwas haltlos in ihrem Leben herum: wechselnde Jobs, eine brachliegende Musikkarriere und das erfolglose Suchen nach "Mr. Right". Helen (Lara Flynn Boyle) hingegen, die erfolgreiche, exaltierte Bestsellerautorin, kämpft in ihrem Apartment gegen das aufkommende Gefühl innerer Leere an und sucht zwanghaft nach einem neuen extremen Kick. Statt des erhofften Glücks sind es eher dunkle Erfahrungen und versteckte Obsessionen, die Bewegung ins Leben der Schwestern bringen. Ein russischer Taxifahrer stiehlt Joy die Stereoanlage und auch das Herz. Helen läßt sich auf ein Abenteuer mit einem anonymen Anrufer ein - nicht wissend, daß der Telefonmasturbateur ihr verklemmter Nachbar Allen (Philip Seymour Hoffman) ist. Trishs Familienglück bricht auseinander, als ihr Ehemann Bill (Dylan Baker) seine Neigung zu pubertierenden Jungen entdeckt.
Todd Solondz ist ein Mann mit dicker schwarzer Hornbrille und einem geschärften Blick für die absurden Seiten des Lebens. Nicht nur sein Aussehen, sondern auch sein eigenwilliger, unverwechselbarer Stil erinnern irgendwie an Woody Allen. Nur jünger, moderner und dem unterkühlten gesellschaftlichen Klima der 90er Jahre besser angepaßt. Obwohl Solondz in seinem Film die kaputte Seelenlandschaft der amerikanischen Provinz mit bitterböser Direktheit schildert, verfällt er gegenüber seinen Figuren nicht in Zynismus. Ob biedere Hausfrau oder überdrehte Schriftstellerin, ob Telefonwichser oder pädophiler Psychoanalytiker - Happiness gibt seine Figuren nicht der Lächerlichkeit preis, sondern begegnet ihnen vielmehr mit einem passioniertem Forschungsinteresse. Natürlich ist auch Ironie im Spiel, sie beeinträchtigt aber nie die analytische Schärfe des skurilen Gesellschaftsportraits. Vor allem aber ist Happiness ein Film der schillernden Gegensätze, der in der Komik die Tragik findet, in der beißenden Satire den beklemmenden Ernst, im Glück das Unglück - und umgekehrt. Diese Wanderung zwischen den Widersprüchen ist auch im amerikanischen Independent-Kino nur noch selten zu finden.

Martin Schwickert