»HAPPY TOGETHER«

Heiß geliebt

Wong Kar-Wei (»Chunking Express«) hat Hongong verlassen

Was aus Hongkongs blühender Filmindustrie nach der Übernahme Chinas in diesem Jahr werden wird, vermag niemand so recht vorherzusehen. Einige Filmemacher aus der ehemaligen britischen Kronkolonie haben schon in den letzten Jahren die Fühler Richtung Weltmarkt ausgestreckt. Das Stunt- und Action-Genie Jacky Chan produzierte mittlerweile seinen dritten Film mit US-Beteiligung und auf der Kunstkino-Ebene hat es Wong Kar-Wei mit Chungking Express und Fallen Angels geschafft, auf dem internationalen Kinomarkt Fuß zu fassen. Wong Kar-Wei hat für seinen neuen Film Happy together den Drehort Hongkong verlassen. Er sei es müde gewesen, so der Regisseur, immer wieder Fragen über die Zukunft Hongkongs zu beantworten. "Ich dachte auf der anderen Seite der Welt könnte ich diesen Fragen entrinnen."
Die andere Seite der Welt heißt in diesem Fall Buenos Aires. Lai Yiu-Fai und Ho Po-Wing sind hierher geflüchtet, vor Hongkong und wohl auch ein wenig vor sich selbst. Happy Together schleicht nicht lange um sein Thema herum. Der Film beginnt mit einer schwulen Bettszene, um dann im weiteren Verlauf das Schwulsein der Hauptfiguren nur noch beiläufig zu beachten. Man sieht in dieser ersten Szene auch, daß der Titel Happy Together wohl die Antithese dessen ist, worum es in diesem Film gehen wird. Irgendwie schläft man engagiert aneinander vorbei und als auf der Reise nach Süden zu den Wasserfällen das Auto verreckt, reicht ein kurzer Schlagabtausch und mit der Liebe hat's ein Ende. Lai, dessen Off-Kommentar die Geschichte begleitet, versucht sich alleine in diesem fremden Land zurechtzufinden. Er findet einen Job als Türsteher in einer Tango-Bar in Buenos Aires, später in der Küche eines China-Restaurants. Als eines Tages Ho von einer Schlägerei blutverschmiert wieder vor der Tür steht, nimmt Lai ihn zwar bei sich auf, weist jedoch alle Annäherungsversuche strikt zurück. Die Verweigerung gibt ihm nun die verloren gegangene Macht in der Beziehung zurück. Während Lai für die Rückkehr nach Hongkong ackert, treibt sich Ho in der Stricherszene herum und kommt immer mehr auf den Hund. Auf der Arbeit lernt Lai den Taiwanesen Chang kennen und verliebt sich möglicherweise in ihn. So genau weiß man das nicht. Auf jeden Fall ist der junge, hübsche Taiwanese, der als Kind schlecht sehen konnte und deshalb heute um so besser hört, der Gegenpol zur Beziehungstristesse, die Happy Together exzessiv beschreibt.
In seinen beiden vorhergehenden Filmen Chungking Express und Fallen Angels spielte Regisseur Wong Kar-Wei mit Beziehungen, die im Großstadtdschungel nicht zueinander finden können. Man erinnert sich an die Imbissangestellte, die heimlich in das Appartment des Angebeteten eindringt und die Möbel verrückt. Oder an den Zivilpolizisten, der an einer Überdosis Dosenananas - der Lieblingsspeise seiner Ex-Geliebten - fast zugrundegeht. Die Figuren versteigen sich in romantische Sehnsüchte, während um sie herum das pralle Leben der Hightechmetropole im Eiltempo vorbeizieht. In Happy Together sieht man, was diesen Figuren erspart bleibt. Wong Kar-Wei hat Hongkong verlassen und widmet sich in Buenos Aires den Abgründen des Beziehungstangos. An die Stelle von romatischer Träumerei tritt die Realität des Zerfallsprozesses. Hier wird rigoros geliebt, gestritten, gehaßt und verletzt und trotzdem ist aus Happy together , der in Cannes mit der "Goldenen Palme" ausgezeichnet wurde, kein angestrengtes Psychodrama geworden. Das liegt vor allem daran, daß auch dieser Wong Kar-Wei-Film mehr über die Bilder als über große Worte Gefühlen Ausdruck verleiht. Wieder einmal hat Kameramann Christopher Doyle mit hochbeweglicher Kamera, verwischten Bewegungsfolgen und unterschiedlichen Bildgeschwindigkeiten dem Film sein unverwechselbares visuelles Outfit gegeben. Aber auch Doyles virtuos inszenierte Bildfolgen schaffen es nicht, die dramaturgische Hängepartie im letzten Drittel des Films zu überbrücken. Einige Male zuoft wird hier noch eine Episode angehängt und das assoziative Erzählkonzept, das zum Markenzeichen von des Regisseurs gehört, wird in Happy Together deutlich überstrapaziert.

Martin Schwickert